Frankfurter Rundschau 05.10.2000

Den arabischen Israelis reicht's jetzt

Minderheit fühlt sich diskriminiert und dämonisiert

Von Inge Günther (Jerusalem)

Die "Al-Aksa-Intifada" hat die friedliche Koexistenz innerhalb Israels zwischen jüdischen und arabischen Bürgern radikal in Frage gestellt. Zehn Tote, erschossen von der Polizei, und ein Film, der deren brutales Vorgehen selbst gegen wehrlose Frauen zeigt, verstellen eine Rückkehr zum Alltag.
Nur Stunden, nachdem Premier Ehud Barak am Dienstag Vertreter der arabischen Minderheit zur versöhnlichen Aussprache empfangen hatte, traf eine Polizeikugel einen 24-jährigen aus Kafr Manda, einem galiläischen Dorf, im Kopf. Ein weiterer Fall, mit dem sich das von Barak versprochene Untersuchungskomitee nun zu befassen hat. "Ich weiß nicht mehr, was ich denken soll", reagierte fassungslos Mohammed Zeidan, Ortsvorsteher und zugleich Chef des arabisch-israelischen Dachverbands. "Entweder haben die da oben die Botschaft, dass wir uns alle um Wiederherstellung der Ruhe bemühen wollen, einfach nicht weitergegeben, oder sie wird von der Polizei ignoriert." Andere unter der einen Million Araber mit israelischem Pass haben weniger Zweifel. Wenn jüdische Demonstranten, egal ob rechte Siedler oder religiöse Schas-Anhänger, Straßenblockaden inszenierten - wird bitter beklagt -, übe sich die Polizei in äußerster Zurückhaltung. "Aber unsere Proteste werden blindlings niedergeknallt. Haben wir etwa keine Gefühle?" Der Pulverrauch mag sich verziehen. Die Wut hält sich. Zu viel hat sich angestaut. Die Steinwürfe und in Brand gesetzten Autoreifen im israelischen Kernland - in Umm el Fahm, Nazareth und Jaffa - waren ja nicht nur Ausdruck des Zorns über den anmaßenden Auftritt des Hardliners Ariel Scharon auf dem dritthöchsten Heiligtum im Islam. Genauso hat auch die Verbitterung über jahrzehntelange Diskriminierung die arabischen Israelis auf die Straße getrieben. In einem Ausmaß, das selbst ihre Proteste von 1976 gegen Landenteignung in den Schatten stellte. Dennoch sehen sich die meisten aus der arabischen Minderheit, die fast ein Fünftel der Gesamtbevölkerung ausmacht, als loyale Bürger Israels. Wenn auch als solche zweiter Klasse, schon wegen ihrer eingeschränkten Chancen beim Landkauf, in der Ausbildung oder bei der Jobvergabe in Behörden. Auch hat noch kein Regierungschef einen arabischen Israeli jemals zum Minister gemacht, aus Angst, womöglich jüdische Wählerstimmen zu verlieren. Doch sogar während der ersten Intifada in Gaza und Westbank in den Jahren 1987 bis 1993 bewahrten sie weithin kühles Blut. Jetzt aber reicht es, bringt der Knesset-Abgeordnete Mohammed Baraka die Stimmung auf den Punkt. Jetzt, wo Israels rechte Opposition ein Comeback versuche, in dem sie die arabische Minderheit dämonisiere, und der Premier sie ignoriere, obwohl er wie selbstverständlich auf ihre Stimmen baue. "Wir kämpfen gegen ein Apartheid-Regime." Das Filmdokument, das der Zweite Kanal Dienstagabend ausstrahlte, ist da Öl ins Feuer. Es zeigt, wie eine Gruppe von sieben Polizisten die in Nazareth lebende Psychologin Nasrien Asali aus dem Nichts heraus verprügelt. "Ich lag schon am Boden, als ein Polizist mich mit seinem Gewehr schlug", so Asali. Auf Geheiß von Innenminister Schlomo Ben-Ami wurden die Bediensteten vorläufig suspendiert. Wenn die Regierung es ernst meine, könne sie binnen Tagen die Dinge zum Besseren wenden, ist der Journalist Salam Dschubran aus Nazareth überzeugt. "Aber wir sind nicht bereit, uns wie Indianer in Reservationen austrocknen zu lassen."