junge Welt, 05.10.2000

Verbalattacke gegen Arafat

Israel macht bei Treffen in Paris Palästinenserpräsident für Eskalation im Nahen Osten verantwortlich

Die blutigen Auseinandersetzungen im Nahen Osten haben am Mittwoch etwas nachgelassen. In den palästinensischen Autonomiegebieten wurden bis zum Mittag nur noch kleinere Auseinandersetzungen registriert. In Paris drängte unterdessen US-Außenministerin Madeleine Albright zunächst in getrennten Gesprächen mit Israels Regierungschef Ehud Barak und Palästinenserpräsident Yassir Arafat auf ein Ende der Gewalt. Arafat forderte eine internationale Untersuchung und den Schutz palästinensischer Zivilisten vor »Massakern«. Barak machte erneut die Palästinenser für die Unruhen verantwortlich. »Wir halten Arafat und die palästinensische Autonomiebehörde für die Anstachelung zu dieser Gewaltwelle für verantwortlich«, sagte Barak nach seinen Treffen mit Albright und dem französischen Präsidenten Jacques Chirac. Es bedürfe nur einer klaren Anweisung Arafats an seine Militärs, und »alles wird sich sofort beruhigen«, sagte der israelische Regierungschef. Der Palästinenserpräsident forderte nach Angaben seiner Delegation »das Ende der israelischen Schüsse«, den Rückzug der israelischen Armee von den belagerten autonomen Palästinenserstädten sowie die Einsetzung einer internationalen Kommission, welche die Ursachen der jüngsten Unruhen im Nahen Osten prüfen solle. Am Nachmittag wollte sich auch UN-Generalsekretär Kofi Annan in die Pariser Verhandlungen einschalten und dort zunächst mit Barak und dann mit Arafat zusammentreffen. Nach Angaben des Außenministeriums in Kairo wollten Arafat, Barak, Albright und der ägyptische Präsident Husni Mubarak die Gespräche am Donnerstag im ägyptischen Badeort Scharm el Scheich fortsetzen. Die blutigen Unruhen in den palästinensischen Autonomiegebieten ließen bis zum frühen Mittwoch nachmittag etwas nach. In der Nacht allerdings wurden bei einem Schußwechsel im Westjordanland zwei palästinensische Polizisten getötet und 15 weitere Palästinenser verletzt. Seit vergangenem Donnerstag wurden bei den Unruhen in Israel und in den palästinensischen Autonomiegebieten 65 Menschen getötet und etwa tausend verletzt. Die Unruhen hatten sich am Besuch des rechten Oppositionsführers und Hardliners Ariel Scharon auf dem Jerusalemer Tempelberg entzündet. Die israelische Regierung hatte die von Arafat geforderte Einsetzung einer internationalen Kommission bereits am Dienstag abend abgelehnt und lediglich eine interne Untersuchung der Zusammenstöße zwischen israelischen Soldaten und arabischen Israeli erwogen. Nach Vorstellungen Arafats soll die Kommission mit Vertretern Israels, der Palästinenser, der USA und der Europäischen Union besetzt sein. Die Palästinenser werfen Israel den Bruch der vierten Genfer Konvention zum Schutz von Zivilisten in Kriegszeiten vor.(AFP/jW)