junge Welt 05.10.2000

Aus Kirchenasyl verhaftet

Aachen: Wie paßt »Nein« gegen Rassismus zur drohenden Abschiebung von Hüseyin Calhan?

Noch während sich der Sprecher des Bundesgrenzschutzes Aachens im Rahmen einer Veranstaltung der Aachener Zeitung »Farbe bekennen - Keine Chance den Rassisten« als Menschenfreund im Bahnhof positionierte, wurde der kurdische Flüchtling Hüseyin Calhan von eben diesem Bundesgrenzschutz am 28. September kontrolliert und festgenommen. Calhan, der seit längerer Zeit illegal und im Kirchenasyl in Deutschland lebt, verbrachte die Nacht im Gewahrsam des Polizeipräsidiums Aachen. Das Ausländeramt der Stadt Aachen beantragte gegen ihn noch am gleichen Vormittag die Abschiebehaft. Calhan wurde sofort dem Haftrichter vorgeführt und sitzt seitdem im Abschiebegefängnis in Düren. »Aus Angst vor der drohenden Abschiebung geht es ihm vor allem gesundheitlich sehr schlecht«, berichtete Hermann Josef Diepers vom Aachener Flüchtlingsplenum am Mittwoch gegenüber jW. Calhan benötige eigentlich dringend ärztliche Betreuung, fuhr der Unterstützer des Wanderkirchenasyls fort. Im Zeichen des aktuellen »Antifaschismus« hatten Vertreter der Aachener Behörden und Politiker noch am Vortag der Verhaftung »ein engagiertes >Nein< zu Rassismus« kundgetan. Die Aachener Zeitung bedankte sich in ihrer Ausgabe vom 28. September bei Oberbürgermeister Jürgen Linden, Polizeipräsident Heinrich Bünninghaus, Carsten Westerkamp (Bundesgrenzschutz), die mit Hüseyin Calhan deren Aktion unterstützt hatten.
Was die drohende Abschiebung für Calhan bedeutet, muß den Herren durchaus bewußt sein. Der 27jährige Kurde aus Pazarcik wurde in der Türkei mehrfach unter dem Vorwurf der PKK-Zuarbeit gefoltert. Sein Versuch, sich dem Militärdienst zu entziehen mißlang. Nach der zwangsweisen Einziehung wurde er wegen kriegskritischer Kommentare regelmäßig geschlagen. Es folgten seine Weigerung, sich als Dorfschützer gegen die Guerilla zu betätigen und dann die Flucht aus seinem Dorf. Wegen Plakatierens für die PKK wird er von der Polizei namentlich gesucht. Calhan floh im Oktober 1995 nach Deutschland und beantragte Asyl. Der Antrag wurde abgelehnt. Zuflucht fand der Kurde dann im Wanderkirchenasyl, wo er einer der Sprecher der Initiative wurde.
Bei vielen Demonstrationen und Veranstaltungen im Jahr 2000 exponierte sich Calhan als Vertreter der kurdischen Flüchtlinge. Unter anderem demonstrierte er direkt vor den Werktoren der Panzerfabrik Krauss/ Maffei Wegman in Kassel gegen die Leopard-II-Lieferungen und hielt dort den Redebeitrag als Vertreter des Wanderkirchenasyls. In zahlreichen deutschen und türkischen Medien wurden Bild und Name von Calhan im Kontext türkeikritischer Berichte veröffentlicht. Schon die Teilnahme am Wanderkirchenasyl gilt in der Türkei als von der PKK inzenierte Aktion, die entsprechend verfolgt und geahndet wird. Das zeigte sich einmal mehr nach der Abschiebung des Teilnehmers Yusuf Demir im Januar. Demir wurde von den türkischen Sicherheitsbehörden massiv mißhandelt und dabei unter Vorlage von Bildern insbesondere nach Namen von Akteuren und Initiatoren des Wanderkirchenasyls befragt. Trotz dieser Fakten wies das Innenministerium Nordrhein- Westfalens die Ausländerbehörden an, »aufenthaltsbeendende Maßnahmen« gegen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Wanderkirchenasyls NRW einzuleiten. DieAnordnung wird befolgt, wie die drohende Abschiebung Calhans beweist. »Im Falle der Abschiebung muß Hüseyin Calhan mit Folter rechnen«, so Hermann Josef Diepers zu jW. Seit der Inhaftierung organisieren Mitglieder des Flüchtlingsplenums und weitere Unterstützer des Wanderkirchenasyls täglich eine Mahnwache von 17 bis 18 Uhr vor dem Aachener Rathaus. Am Mittwoch nachmittag fand die Mahnwache vor dem Ausländeramt statt. Dort tagte die Härtefallkommission. Auch städtische Politiker wollten sich noch einmal zu Wort melden. Diepers machte sich allerdings wenig Hoffnungen: »Es ist sehr fraglich, ob da etwas Relevantes rauskommt, weil die Kompetenzen der Kommission sehr beschränkt sind.«
Anke Fuchs
* Kontakt: Flüchtlingsplenum Aachen, c/o Rotes Büro Aachen, Charlottenstr. 6, 52070 Aachen, Telefon 0241/5152476 Fax 0241/5152478