taz 4.10.2000

Rundumschutz für die NPD

NPD-Gegner aus dem gesamten Bundesgebiet wollen am kommenden Samstag in Berlin gegen die Bundeszentrale der Partei und die Asylpolitik der Regierung demonstrieren. Selbst im Bundestag wurde die Veranstaltung schon angekündigt

von ANDREAS SPANNBAUER

Angela Marquardt konnte selbst FDP-Generalsekretär Guido Westerwelle überzeugen. "Jetzt überlege ich es mir noch einmal", sagte der Liberale, nachdem die PDS-Abgeordnete ihre Kollegen im Bundestag dazu aufgefordert hatte, sich an einer Großdemonstration gegen die NPD zu beteiligen.

Doch dann bekam Westerwelle etwas Angst vor der eigenen Zivilcourage. Er bat vorsichtshalber die PDS-Parlamentarierin um außerparlamentarischen Beistand: "Schützen Sie mich dann, wenn ich komme?" Marquardt, ganz Volksfrontpolitikerin, antwortete wohlwollend: "Ja, ich werde Sie schützen."

Guido Westerwelle wird, falls er sich tatsächlich seiner politischen Gegnerin anvertrauen sollte, nicht der einzige Demonstrant bleiben. NPD-Gegner aus dem ganzen Bundesgebiet haben angekündigt, am kommenden Samstag in Berlin gegen die rechtsextreme Partei auf die Straße zu gehen. Mit der Großdemonstration unter dem Motto "Gemeinsam gegen rechts" wollen über 200 Organisationen und Einzelpersonen ein sichtbares Zeichen gegen Rassismus und Antisemitismus setzen.

Ziel der Demonstration ist die Bundesgeschäftsstelle der NPD, die sich seit Februar dieses Jahres in Berlin-Köpenick befindet. "Die NPD als Sammelbecken für gewaltbereite Rechte hat damit eine Art Bundeszentrale des organisierten faschistischen Terrors in Berlin eingerichtet", heißt es in dem Aufruf zur Demonstration. Die Partei habe "ein gutes Händchen dafür, rechte Schläger zu organisieren".

Ein Parteiverbot der NPD, wie es in den vergangenen Wochen diskutiert wurde, lehnt das Bündnis allerdings ab: "Mit der Einengung der Diskussion auf ein Verbot der NPD wird übersehen, dass für eine dauerhafte Abwehr faschistischer Gefahren vor allem die autoritären und rassistischen Strukturen in der Gesellschaft zurückgedrängt werden müssen."

Die PDS-Abgeordnete Marquardt wies im Bundestag darauf hin, dass Gruppen wie die "Antifaschistische Aktion", die sich bereits seit Jahren aktiv gegen Neofaschisten eingesetzt hätten, von den Strafverfolgungsbehörden kriminalisiert würden. Dabei sei es gerade diese langwierige Kleinarbeit vor Ort, die für den Kampf gegen den Rechtsextremismus bedeutsamer sei als "ein paar zentral gesteuerte Plakataktionen".

Zu der Demonstration rufen Antifa-Gruppen aus dem ganzen Bundesgebiet, Gewerkschaften, Künstler und Parteienvertreter auf, darunter die PDS-Bundestagsabgeordneten Carsten Hübner, Heinrich Fink und Sabine Jünger, der PDS-Landesvorstand Berlin, der Berliner Flüchtlingsrat, der Schriftsteller Victor Grossman oder der Jüdische Kulturverein Berlin. In einem eigens ins Leben gerufenen Bündnis haben sich außerdem Schüler aus 22 Berliner Oberschulen gegen die Nationaldemokraten zusammengeschlossen.

Die Veranstalter rechnen nach eigenen Angaben mit mehreren tausend Teilnehmern. Damit wäre die Demonstration im Südosten der Hauptstadt die in diesem Jahr größte Veranstaltung gegen die NPD in der Bundesrepublik. Sechs Lautsprecherwagen sollen für einen hörbaren Protest gegen die rechtsextreme Partei sorgen.

Bei der NPD gibt man sich bisher gelassen. "Wir gehen davon aus, dass wir einen Rundumschutz durch die Polizei genießen werden", sagte NPD-Pressesprecher Klaus Beier. Die Polizei hat bereits angekündigt, mehrere Wasserwerfer vor der Bundesgeschäftsstelle zu postieren, um Ausschreitungen zu verhindern. Bereits in den kommenden Tagen werden die Einsatzkräfte rund um die umstrittene Parteizentrale verstärkt.

Die Kritik der Demonstranten beschränkt sich jedoch nicht auf die NPD. "Die menschenfeindliche Abschiebepolitik des Staates und eine rassistische Grundstimmung in Teilen der Bevölkerung haben den Neonazis in den letzten Jahren Auftrieb verliehen", sagte ein Sprecher des Bündnisses. Den Appellen der Politiker gegen Rechtsextremismus stünden "unsägliche Kampagnen" gegen die doppelte Staatsbürgerschaft und die Green Card für ausländische Arbeitskräfte gegenüber.

Als Zeichen der Solidarität mit den Opfern dieser Politik soll die Demonstration auch vor die Abschiebehaftanstalt in Berlin-Grünau ziehen. Die Zustände in diesem Gefängnis sorgten in den vergangenen Monaten immer wieder für Schlagzeilen. So sind dort nach Angaben des Berliner Flüchtlingsrats rund 20 Minderjährige inhaftiert. Sie verfügen über keinen Vormund und damit über keinerlei rechtliche Vertretung. Anfang September starb ein 28-jähriger Mongole, der in Grünau inhaftiert war, bei dem Versuch, sich aus dem sechsten Stock des DRK-Krankenhauses abzuseilen. In Berlin befanden sich im vergangenen Jahr 6.600 Ausländer in Abschiebehaft. Seit 1998 kam es 15 Selbstmordversuchen. Im ersten Halbjahr 2000 traten insgesamt 228 Häftlinge aus Protest gegen ihre Inhaftierung in den Hungerstreik.

Ein Sprecher des Demonstrationsbündnisses sagte, der Kampf gegen den Rechtsextremismus bedeute auch, sich für ein Leben ohne Diskriminierung einzusetzen. "Wir fordern deshalb die Abschaffung der Abschiebehaft, des Asylbewerberleistungsgesetzes und des Flughafenverfahrens."

Die Demonstration "Gemeinsam gegen rechts - Weg mit der NPD-Zentrale" beginnt am Samstag um 13 Uhr vor dem S-Bahnhof Spindlersfeld in Berlin-Köpenick. Eine Zwischenkundgebung findet vor der Abschiebehaftanstalt in der Grünauer Straße statt. Die Abschlusskundgebung startet voraussichtlich gegen 15.30 Uhr am Mandrellaplatz, in unmittelbarer Nähe der NPD-Zentrale in der Seelenbinderstraße 42. Zitat: "Die Abschiebepolitik des Staates hat den Neonazis Auftrieb verliehen."