Kurier online (A), 02.10.2000 14 : 46 Uhr

EU-Grundrechtscharta: Menschenrechte in 54 Artikeln

Brüssel - Ein 62-köpfiges EU-Gremium hat heute den Textentwurf für eine EU-Charta der Grundrechte präsentiert. Der Entwurf besteht aus einer Präambel und 54 Artikeln, die in 7 Kapiteln gegliedert sind.

In der Präambel wird festgehalten, dass die Völker Europas beschlossen haben "auf der Grundlage gemeinsamer Werte eine friedliche Zukunft zu teilen". "Im Bewusstsein ihres geistigen und moralischen Erbes gründet sich die Union auf die unteilbaren und universellen Grundsätze der Würde des Menschen, der Freiheit, der Gleichheit und der Solidarität;...", heißt es im zweiten Absatz, der bis zum letzen Moment umstritten war. In einer früheren Fassung war noch "von ihrem kulturellen, humanistischen und religiösen Erbe..." die Rede. Vor allem Frankreich hatte sich jedoch strikt gegen den Begriff "religiös" gewehrt.

In Kapitel I ist die Unantastbarkeit der "Würde des Menschen" sowie das Recht auf Leben und das Verbot der Todesstrafe sowie der Sklaverei, Zwangsarbeit und Menschenhandel enthalten. In Artikel 3, der jeder Person das Recht auf "körperliche und geistige Unversehrtheit" zusichert, wird unter anderem ein Verbot eugenischer Praktiken, insbesondere zur Selektion von Personen sowie ein Verbot des "reproduktiven Klonens von Menschen" ausgesprochen.

Freiheiten der Bürger

Kapitel II mit den Artikeln 6 bis 19 definiert die "Freiheiten" der EU-Bürger: Der Bogen spannt sich vom Recht auf Freiheit und Sicherheit, auf Bildung, auf Eigentum, auf Achtung des Privat- und Familienlebens, über Gedanken- und Religionsfreiheit, sowie das Recht auf freie Meinungsäußerung, Berufsfreiheit, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit bis zum Schutz personenbezogener Daten. Auch das Recht jeder Person "auf Auskunft über die sie betreffenden erhobenen Daten" sowie die Überwachung der Einhaltung dieser Vorschriften von einer unabhängige Stelle ist festgeschrieben.

Das Recht "eine Ehe einzugehen und eine Familie" aber auch auf Wehrdienstverweigerung werden "nach den einzelstaatlichen Gesetzen" gewährleistet. Kritik hatte es am Artikel 11 Absatz 2 zur Pressefreiheit gegeben, nachdem der ursprüngliche Satz "die Freiheit der Medien und ihre Pluralität werden geachtet" in der endgültigen Fassung in "....werden gewährleistet" verwandelt wurde. Artikel 13 schreibt die Freiheit von "Kunst und Wissenschaft" fest.

Diskussionen löste der Artikel 16 aus, der "die unternehmerische Freiheit" anerkennt. In der endgültigen Fassung wurde daher ".. nach dem Gemeinschaftsrecht und den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten.." eingefügt. Kritische Bemerkungen gab es auch zum Artikel 19, in dem es um den "Schutz bei Abschiebung, Ausweisung und Auslieferung" geht, weil damit Begriffe aus dem Asylrecht mit Begriffen aus dem Strafrecht vermischt. Für das Asylrecht gilt laut EU-Charta das Genfer Abkommen.

Schutz älterer Menschen in letzter Minute eingefügt

In letzer Minute wurde ein zusätzlicher Artikel über das Recht "älterer Menschen auf ein würdiges und unabhängiges Leben und die Teilnahme am sozialen und kulturellen Leben" aufgenommen. Weiters sind in diesem Kapitel die Rechte der Kinder und der Anspruch von Menschen mit Behinderungen auf Maßnahmen zur Gewährleistung ihrer Eigenständigkeit, ..." festgelegt.

Der Vorsitzende des 62-köpfigen EU-Gremiums, das in den vergangenen neun Monaten die Charta "fast einstimmig" erarbeitet hat, der ehemalige deutsche Bundespräsident Roman Herzog, konnte aus Krankheitsgründen nicht teilnehmen. Der Text wurde nun an EU-Ratspräsident Jacques Chirac gesandt und soll beim Gipfel in Biarritz diskutiert und im Dezember in Nizza von den Staats- und Regierungschefs angenommen werden.

"Wichtig war, dass wir eine gute Charta erarbeitet haben, der Rest ist nicht nebensächlich, aber erst der zweite Schritt", hieß es heute bei der anschließenden Pressekonferenz.

APA/ale