Frankfurter Rundschau, 4.10.2000

"Mit einem letzten Atemzug" versinkt die antike Stadt

Das 2300 Jahre alte Zeugma geht in einem Stausee unter / Archäologen aus aller Welt retten unschätzbare Zeugnisse

Das Wasser steigt unaufhaltsam: Nach monatelangen Grabungsarbeiten wird voraussichtlich an diesem Mittwoch das "Grabungsgebiet B" der rund 2300 Jahre alten römischen Legionärsstadt Zeugma im Südosten der Türkei in den Fluten des Birecik-Stausees verschwinden. "Der letzte Atemzug von Zeugma", schrieb die türkische Zeitung Milliyet am Dienstag. Archäologen aus elf Ländern haben ihre Sachen gepackt. Das "Grabungsgebiet A" war bereits im Juni untergegangen.

ISTANBUL, 3. Oktober (dpa). Nach Angaben von Grabungsleiter Kemal Sertok war die Rettungsaktion für Zeugma, das rund 60 Kilometer östlich der Stadt Gaziantep liegt, erfolgreich. Das mehr als 300-köpfige Team habe 99 Prozent der geplanten Arbeit geschafft. "Jetzt beginnt die Zeit der wissenschaftlichen Auswertung der Funde", sagte Sertok. Allein die Restaurierung der vor den Fluten geretteten Fresken werde mindestens sechs Monate in Anspruch nehmen, sagte er der türkischen Nachrichtenagentur Anadolu.

In den vergangenen Monaten hatten die Archäologen gegen die Zeit gearbeitet: Wo sich einst die erste und einzige Brücke über den Euphrat spannte, entdeckten die Experten zahlreiche römische Villen sowie Bodenmosaiken, Wandfresken, Statuen, Münzen und Tonzeug. Der bekannteste Fund war eine rund eineinhalb Meter große Statue des Kriegsgottes Mars. Außerdem fanden die Archäologen gut erhaltene Straßen, Treppen und öffentliche Plätze.

Von den vor dem Wasser geretteten Funden erhoffen sich die Experten auch Aufschlüsse über das Leben in der Stadt, die einst 50 000 Menschen beherbergte. Doch nicht nur alte römische Villen sind in den Fluten versunken, auch 36 bewohnte Dörfer mussten wegen des Stausees, der Teil des riesigen Südostanatolien-Projektes (GAP) mit insgesamt 22 Dämmen und 19 Kraftwerken ist, geräumt werden. Nach einer Pause soll es voraussichtlich im kommenden Jahr im "Grabungsgebiet C", das rund 70 Prozent von Zeugma ausmacht, weitergehen. Dieses letzte Grabungsgebiet wird von den Fluten verschont bleiben und soll später - am Rande des Sees - ein Freilichtmuseum werden.

Auf der kroatischen Halbinsel Peljesac haben Archäologen eine seit 2000 Jahren unberührte Zeremonienstätte der Illyrer entdeckt. "Der Tempel ist ganz erhalten. Wir haben mehr als 100 Kilogramm Keramik gefunden", zitierten kroatische Zeitungen am Dienstag einen Experten. Bilder zeigten Amphoren, Teller mit Darstellungen von Menschen und andere Gegenstände. An dem Fund sind auch Briten und Kanadier beteiligt.

Die Illyrer waren eine Volksgruppe des Altertums, die den nordwestlichen Teil der Balkanhalbinsel und die Adriaküste besiedelt haben. Von den Römern wurden sie unterworfen, später siedelten die Slawen in der Region.