Süddeutsche Zeitung, 2.10.2000

Eher Feind als guter Nachbar

Die arabische Welt zweifelt am ernsthaften Willen Israels zum Ausgleich mit den Palästinensern

Von Heiko Flottau

Die Friedenspartner führen Krieg. Es ist der zweite palästinensisch-israelische Krieg, seit 1991 auf der Konferenz von Madrid die Suche nach einer friedlichen Lösung für ein Problem begann, das der israelische Ministerpräsident Ehud Barak stets einen "Jahrhundertkonflikt nennt. Im Herbst 1996 gab es einen Drei-Tage-Krieg zwischen den Feinden, die nach Frieden suchen. Gegen die ausdrückliche Empfehlung seiner Sicherheitsexperten hatte der damalige israelische Premier Benjamin Netanjahu einen historischen Tunnel öffnen lassen, der im Ostteil Jerusalems vom Platz an der Klagemauer in der Nähe des Tempelberges an die Via Dolorosa führt. Die Palästinenser sahen darin eine einseitige Veränderung im Status Ost-Jerusalems. In Gaza und im Westjordanland schossen erstmals die Polizei des Palästinenserpräsidenten Jassir Arafat und israelisches Militär aufeinander.

Diesmal ist ein "Kampf um Jerusalem" entbrannt, wie es ein Anhänger Arafats formulierte. Ausgelöst hat diesen Kampf ein Mann, in dem die Araber einen notorischen Kriegstreiber sehen - Ariel Scharon. Seine Visite auf dem Platz vor Felsendom und Al-Aksa-Moschee am Donnerstag betrachteten die Palästinenser als ultimative Provokation. Der heutige Chef der rechtsgerichteten Likud-Partei ist für die israelische Invasion im Libanon von 1982 verantwortlich. Seine Truppen, die bis nach Beirut vordrangen, schauten zu, als christliche Milizen in den Flüchtlingslagern von Sabra und Schatila rund 800 Palästinenser töteten. Vor Felsendom und Al-Aksa-Moschee erklärte Sharon nun, Israel wolle mit den Palästinensern in Frieden leben. Die aber fassten seine Worte als Kriegserklärung auf.

Am Sonntag verbreiteten sie die Namen einiger ihrer Toten. Sie erinnern an die Zeiten der Intifada, des palästinensischen Aufstandes gegen Israel, der 1987 begann und mehrere Jahre dauerte. Es war der Aufstand einer frustrierten Jugend. Die meisten der Opfer vom Wochenende sind ebenfalls Jugendliche, manche Teenager: Rami Atarazi, 12 Jahre alt, aus Gaza; Khaled Bazyan, 14 Jahre alt, aus Nablus; Nizar Eideh, 16 Jahre alt aus Ramallah; Mahmud Anbara, 20 Jahre alt, aus Ruweishad, Jordanien. Seit der Unterzeichnung des Friedensabkommens von Oslo sind mindestens 200 Palästinenser in Auseinandersetzungen mit den Israelis getötet worden.

Die arabische Welt ist empört. Die in Ramallah ansässige palästinensische Menschenrechtsorganisation "Law" (Recht) berichtet, ihre Mitarbeiter hätten eine Reihe israelischer, in arabische Kleidung gehüllte Agenten gesehen, die gezielte Schüsse auf Demonstranten abgegeben hätten. Israel suche Gewalt, nicht aber Frieden, schrieb Fuad Madroud, Chefredakteur der in Damaskus erscheinenden Syria Times. "Wenn das die Ernte des Friedens ist, was hat dann Frieden für einen Sinn ?", fragt die Zeitung.

Nicht weniger drastisch äußerte sich Saudi-Arabien, das sich als Hüter der heiligen Stätten des Islam in Mekka, Medina, aber auch in Jerusalem bezeichnet. Die saudische Presseagentur berichtete von "brutalen Angriffen gegen palästinensische Bürger durch israelische Besatzungskräfte". In Katar, dessen Emir einen eher versöhnlichen Kurs gegenüber Israel verfolgt, schrieb die Tageszeitung Al-Shark, die Ereignisse zeigten, dass Israel weder ein Nachbar noch ein Friedenspartner sei. "Israel ist nichts weniger als ein Feind." In den Vereinigten Arabischen Emiraten kommentiert die Tageszeitung Al-Khaleej: "Die Söhne Palästinas bezahlen noch immer teuer mit ihrem Blut, um Jerusalem und die Heiligen Stätten zu verteidigen. Werden die Araber sie mit mehr als nur Erklärungen unterstützen?

Um diese arabische Reaktion ging es am Sonntag in Kairo. Die in der ägyptischen Hauptstadt bei der Arabischen Liga akkreditierten arabischen Botschafter kamen zu einer Sondersitzung zusammen. Mehr als eine verbale Verurteilung des israelischen Vorgehens wurde nicht erwartet. Substanzieller könnte der bereits vor den neuen Unruhen für das vergangene Wochenende angekündigte Besuch des neuen syrischen Präsidenten Baschar el-Assad in Kairo sein. Baschar vertritt die Ansicht, die arabischen Staaten müssten endlich wieder zu einem Gipfeltreffen zusammen kommen. Das letzte fand 1996 in Kairo statt. Der Grund: Benjamin Netanjahus Wahl zum israelischen Premier.