junge Welt, 02.10.2000

Kundgebung für Familie Akyüz

Grünen-Politikerin Roth: »Kehrtwende in der Asylpolitik ist unerläßlich«

Markante Worte von Claudia Roth, der Vorsitzenden des Menschenrechtsausschusses des Bundestages, waren am Samstag auf dem Mauritiusplatz in Wiesbaden zu hören. Da die Grünen- Politikerin zur Zeit im Krankenhaus liegt, nahm sie nicht selbst an einer Kundgebung für ein Bleiberecht der kurdischen Familie Akyüz teil, sondern sandte ein Grußwort, das von einer Vertreterin des Wiesbadener Flüchtlingsrates verlesen wurde. In ihrem Grußwort ging Roth mit der herrschenden Praxis in Asylverfahren und dem Verhalten von zuständigen Behörden hart ins Gericht.

Da »deutsche Gerichte der offenkundig schutzbedürftigen Familie Akyüz bislang den Schutz verweigerten«, so die Politikerin, lägen große Hoffnungen momentan in einer Petition, mit der sich die von Abschiebung in die Türkei bedrohte Familie an das Parlament gewandt habe und Abgeordnete um Hilfe bitte. »Wie weit muß es eigentlich noch kommen, bis Politik und Justiz erkennen, daß man Flüchtlinge nicht in ein Land abschieben darf, in dem die Menschenrechte derart mit Füßen getreten werden, wie das in der Türkei leider immer noch an der Tagesordnung ist?«

Eine Frage, die gegenwärtig auch viele Menschen stellen, die mit Familie Akyüz zu tun hatten und in den letzten Wochen und Monaten das Trauerspiel - Abschiebung des Vaters, Kirchenasyl für den Rest der elfköpfigen Familie, Flucht aus dem Kirchenasyl - miterlebten. Klar ist: Das Schicksal der untergetauchten kurdischen Familie Akyüz wird nun auch den Petitionsausschuß des Deutschen Bundestages beschäftigen. Der Wiesbadener Flüchtlingsrat und der Unterstützerkreis für die Familie rufen dazu auf, den Ausschuß brieflich aufzufordern, sich für die Fa milie einzusetzen und ein sofortiges Bleiberecht zu ermöglichen. Aus diesem Anlaß fand am Sonnabend eine Kundgebung statt, bei der Rednerinnen und Redner darauf aufmerksam machten, was sel bst die Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses mit deutlichen Worten anprangerte: »Das, was an der Familie Akyüz derzeit exerziert wird, hat mit einem auf den Menschenrechten beruhenden Umgang mit Flüchtlingen nichts, aber auch gar nichts mehr zu tun.« In Tagen, in denen Überfälle und Morde von Rechtsextremisten beinahe täglich vorkämen, so Roth weiter, und in einer Situation, in der sich rassistische Attentäter als Vollzugshelfer nicht nur eines dumpfen Volkswillens, sondern auch einer Abschottungspolitik wähnten, sei eine Kehrtwende der deutschen Asylpolitik unerläßlich: »Wir müssen uns nicht vor Flüchtlingen schützen, wir müssen Flüchtlinge vor Verfolgung und Not - und leider auch vor Abschiebung - schützen.« In diesem Sinne sei ein Bleiberecht für Familie Akyüz das Gebot der Stunde.

Wie es mit der untergetauchten Familie weitergeht, ist immer noch unklar. In diesen Tagen, darauf wies Uwe Remus, der Rechtsanwalt der kurdischen Familie bei der Kundgebung hin, werde der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte endgültig über das Schicksal von Familie Akyüz entscheiden. Die Entscheidung werde in wenigen Tagen ergehen.

Ungeachtet dessen lägen nach wie vor die Hauptsacheverfahren, so Remus abschließend, beim Verwaltungsgericht Wiesbaden. Leider sei Familie Akyüz, wie Claudia Roth ganz richtig betone, kein Einzelfall - »so wie Familie Akyüz geht es Hunderten, ja Tausenden von Menschen, denen in unserem Land selbst die elementarsten Grundrechte versagt werden«.

Thomas Klein, Wiesbaden