junge Welt, 29.08.2000

Gefährliche Zivilcourage

Neue rechtsextreme Attacken in Ost und West.

Polizei verhaftet Opfer in Rathenow

In den vergangenen Tagen kam es in mehreren Städten zu rechtsextremen Übergriffen. Polizeibeamte richteten ihre Aktivitäten erneut auch gegen Gegner und Opfer von Übergriffen. So müssen zwei Polizistinnen aus Rathenow mit einer Dienstaufsichtsbeschwerde rechnen. Der britische Journalist chinesischer Herkunft Justin Jin, der sich für eine Fotoreportage über Rassismus in Rathenow aufhielt, wurde, wie erst am Sonntag bekannt wurde, am späten Freitag abend von einem rechtsextremen Skinhead angegriffen. Der Journalist war mit drei afrikanischen Asylbewerbern unterwegs, als sie von einem Skin mit den Worten: »Was macht ihr hier, ihr cheißneger?« aufgehalten wurden. Einer der Afrikaner widersprach, worauf der Skin ihn mit einem Pflasterstein bedrohte. Als Justin Jin die Szene fotografieren wollte, schlug der Rechtsextreme ihm ins Gesicht.

Die zwei hinzugerufenen Polizistinnen verwechselten offenbar Opfer und Täter. Eine Beamtin unterhielt sich kurz mit dem Skinhead und kam dann zu ihrer Kollegin, die gerade versuchte, Justin Jin seine Kamera zu entreißen. Eine der Polizistinnen verdrehte dem Journalisten die Arme auf den Rücken und zerrte ihn in den Streifenwagen. Auf dem Weg zur Wache wurde Jin daran gehindert, über Handy einen Anwalt anzurufen. Erst nach stundenlangem Warten wurde er wieder aus der Wache entlassen. Der Journalist kommentierte, daß er in Brandenburg zwar rassistische Skinheads erwartet habe, aber nicht eine Polizei, die sich mit rechtsextremen Tätern verbrüdert und die Opfer mißhandelt.

Im Dortmunder Hauptbahnhof zeigte sich am Sonntag abend ein weiteres Mal, daß die neuerdings von Politikern geforderte »Zivilcourage« in der Praxis keinesfalls belohnt wird. Beamte des Bundesgrenzschutzes führten gezielt Personenkontrollen gegen ausländische Reisende durch. Auf Nachfrage eines Passanten, warum Menschen nur aufgrund ihrer Hautfarbe kontrolliert werden, lautete die Antwort: »Wir kontrollieren nicht nur nach Hautfarbe, sondern auch nach Meinung. Mitkommen!« Der junge Mann wurde daraufhin auf die Wache gezerrt, wo er sich ausziehen mußte. Ein Beamter drohte dem Mann in Anwesenheit von acht weiteren Polizisten mit den Worten »Wenn du dich falsch bewegst, muß ich das als Angriff werten«.

In der Nacht zu Montag nahm die Polizei im brandenburgischen Rheinsberg drei Jugendliche fest, die Musik mit rechtsgerichtetem Inhalt abgespielt und »Sieg Heil« gegrölt hatten. Im Ostseebad Nienhagen wurde ein dunkelhäutiger Junge aus Berlin am Wochenende mit Steinen beworfen. Der 13jährige hatte zusammen mit 30 Schülern aus Berlin seinen Urlaub in einem Jugendcamp verbracht. Auf einem Fest wurden sie von 15 bis 20 Rechtsextremen provoziert. Die Rostocker Polizei sucht unterdessen weiter nach unbekannten Tätern, die am Wochenende in der Stadt Hakenkreuze auf die Motorhauben von acht Autos geritzt haben.

Im westfälischen Münster sucht die Polizei noch nach einem Schwarzafrikaner, der am Samstag von Rechtsextremen verfolgt worden war. Zwei 19 und 41 Jahre alte Männer, die der Münsteraner Hooliganszene angehören, befinden sich weiter in Untersuchungshaft. Sie waren am Samstag abend festgenommen worden, nachdem sie einen weiteren Schwarzafrikaner durch die Stadt gehetzt hatten.

Gegen drei Rechtsextreme, die am Sonntag im thüringischen Bad Langensalza vier Rußlanddeutsche mit Zaunlatten angegriffen hatten, ist Haftbefehl erlassen worden.

(ddp/jW)