Frankfurter Rundschau, 28.08.2000

Korrektur im Asylrecht gefordert

FDP-Politikerin: Nichtstaatliche Verfolgung anerkennen

Von Vera Gaserow

BERLIN, 27. August. Die frühere Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger hat die Bundesregierung zu einer Korrektur des Asylrechts aufgefordert. Rot-Grün müsse jetzt die politischen und gesetzlichen Konsequenzen aus der jüngsten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Asylgewährung für afghanische Bürgerkriegsflüchtlinge ziehen, verlangte die FDP-Politikerin im Gespräch mit der Frankfurter Rundschau.

Das Bundesverfassungsgericht hatte am 10. August die geltende höchstrichterliche Rechtsprechung in Deutschland kritisiert, die politische Verfolgung allein seitens eng eingegrenzter staatlicher Institutionen als Asylgrund anerkennt. Die Karlsruher Richter gaben den Verfassungsbeschwerden von mehreren afghanischen Flüchtlingen gegen diese enge Auslegung des Begriffs politischer Verfolgung statt.

Mit seiner Entscheidung habe das Bundesverfassungsgericht neue Maßstäbe gesetzt, die nun durch gesetzliche Änderungen im Asylverfahrensgesetz und im Ausländerrecht nachvollzogen werden müssten, forderte Leutheusser-Schnarrenberger, die Mitglied des Menschenrechts-Ausschusses des Bundestags ist. Der Ausschuss hatte bisher vergeblich angemahnt, auch nichtstaatliche Verfolgung stärker als Asylgrund anzuerkennen. Innenminister Otto Schily (SPD) lehnt entsprechende gesetzliche Korrekturen ab.

Der Frankfurter Asylanwalt Reinhard Marx erwartet in der Folge des Bundesverfassungsgerichtsbeschlusses eine Vielzahl neuer Prozesse vor den Verwaltungsgerichten. Es liege sehr nahe, die Karlsruher Grundsätze auch auf andere Bürgerkriegsländer zu übertragen, sagte Marx der Deutschen Presse-Agentur. Zudem könnten zahlreiche Asylverfahren von in Deutschland lebenden Afghanen neu aufgerollt werden. Marx hatte zwei Afghanen in Karlsruhe vertreten.

Der vom Bundesverfassungsgericht jetzt aufgestellte Grundsatz, wonach politische Verfolgung auch in einer Bürgerkriegssituation vorliegen kann, kann laut Marx "bei aller Vorsicht auch auf den Norden Somalias angewendet werden". Für Flüchtlinge aus etlichen anderen Bürgerkriegsgebieten müsse dies neu geprüft werden. Viele der etwa 20 000 in Deutschland lebenden Afghanen könnten möglicherweise die Wiederaufnahme ihrer Verfahren und damit eine Verbesserung ihres Schutzes erreichen. Mit einer massenhaften Fluchtbewegung auf Grund der verbesserten Aussichten auf Asyl rechnet der Anwalt nicht.