Frankfurter Neue Presse, 26.08.2000

TÜRKEI: Die Fortschritte anerkennen

Nach 34 Jahren hat die Türkei zu Beginn dieser Woche zwei Konventionen der Vereinten Nationen unterzeichnet, mit denen sie Minderheiten auf ihrem Boden anerkennt, ihnen wirtschaftliche und kulturelle Rechte einräumt, die bis zur Benutzung ihrer eigenen Sprache in den Schulen reichen. Vor allem die Kurden erhoffen sich davon erhebliche Verbesserungen. Der neue Staatspräsident Sezer stemmt sich mit seiner Macht gegen einen Radikalen-Erlaß, der sich zwar gegen islamistische Eiferer richtet, der aber - so der Präsident - verfassungswidrig ist. Wer sehen will, sieht auch, dass in der Türkei noch nicht alles zum besten steht, dass aber Menschenrechte kein Fremdwort mehr sind, dass die Todesstrafe längst nicht mehr vollstreckt wird, dass sich der türkische Rechtsstaat entwickelt. Die Türkei will zu Europa gehören, die Regierung hat begriffen, dass dafür die Einhaltung von Regeln nötig ist, dass nur dann der dringend ersehnte Beitritt zur EU möglich wird. Diese Entwicklung sollten auch die Grünen, besonders ihr Außenminister Joschka Fischer, mit "Bonbons" fördern wie etwa der Waffen-Fabrik, auf deren Lieferung die Türken begründeten Anspruch haben. Es kann nicht sein, dass die Nato die Größe ihrer Gewehr-Munition umstellt und von den Türken verlangt, sich anzupassen, ihnen aber dann die Mittel dazu verweigert. Den grünen "Experten" scheint im übrigen die sicherheitspolitische Bedeutung und die geo-strategische Lage der Türkei bis heute nicht ins Bewußtsein gedrungen. Deren Süden grenzt an Syrien, an das Pulverfass Nahost. Die Türkei grenzt an den Iran, an den immerwährenden Krisenherd Irak. Die Türken pflegen gute Beziehungen zu den Turk-Völkern südlich des Schwarzen Meers, auf dem Terrain der früheren Sowjet-Union. Diese verfügen über beachtliche Bodenschätze und Öl. Dort droht die Saat islamistischer Eiferer aufzukeimen. Aufgrund der latenten Krisen in diesen Regionen ist die Türkei als Partner und Mitglied der Nato unverzichtbar. Und so sollte man sie auch behandeln.

Hans Liedel