Süddeutsche Zeitung, 26.08.2000

Kommentar: Kleines Kaliber, großer Krach

Mit der Lieferung einer Munitionsfabrik an die Türkei kann es sich die rot-grüne Bundesregierung künftig schenken, noch als restriktiver Rüstungsexporteur aufzutreten. Nach diesem Deal machen sich Schröder, Scharping und Fischer lächerlich, wenn sie weiterhin Skrupel bei Waffenexporten in Krisengebiete vorschützen. Denn bei einer Munitionsfabrik für die Türkei muss man nicht lange in dialektische Betrachtungen eintreten. Ein solches Geschäft missachtet jedes Papier, das die Koalitionäre zum Thema Rüstungsexport je beschrieben haben: Grundsatz-, Wahl- und Regierungsprogramme ebenso wie die verschärften Exportrichtlinien.

Gewehrmunition ist genau das, was ein Staat braucht, wenn er repressiv gegen Minderheiten im Land vorgehen möchte. Kleine Kaliber sind da oft hilfreicher als große, was die Bundesregierung indirekt selbst eingestanden hat: Zum umstrittenen Panzergeschäft mit Ankara hieß es immer beschwichtigend, der Kampfpanzer sei gar nicht geeignet für den Einsatz im kurdischem Berggebiet. Im Unterschied zum klobigen Leopard-Panzer kommt eine Gewehrkugel im unwegsamen Gelände aber gut voran.

Es ist sieben Monate her, dass sich Rot und Grün vorgegaukelt haben, sie hätten mit den neuen Richtlinien das heikelste Koalitionsthema beigelegt. Aber der Kompromiss hält der Praxis nicht stand. Die Grünen können sich mit dem Exportgeschäft nicht vor ihrer Klientel blicken lassen. Dieser Fall hat daher das Potenzial für einen Koalitionsbruch. Schröder sollte sich über die Nöte des Partners nicht zu erhaben zeigen: Auch in der SPD schnappen viele nach Luft und finden keine Worte. Und von ihnen kann sich der Kanzler nicht trennen.

swn