Süddeutsche Zeitung, 26.08.2000

Hessische Firma darf Munitionsfabrik liefern

Rüstungsgeschäft mit Türkei löst Unruhe in der Koalition aus

Nach Kritik von Grünen nun auch Widerstände in der SPD / Außenminister Fischer warnt vor schnellen Urteilen / Von Christoph Schwennicke

Berlin - Die rot-grüne Koalition steht vor einer neuen Auseinandersetzung über Rüstungsexporte in die Türkei. Nach der Grünen-Verteidigungsexpertin Angelika Beer kündigte am Freitag auch der Grünen-Bundestagsabgeordnete Christian Simmert an, er werde die Entscheidung der Bundesregierung nicht mittragen, einer deutschen Firma die Lieferung von Anlagen für eine Munitionsfabrik in die Türkei zu genehmigen. Die Exportgenehmigung sei angesichts der Menschenrechtssituation in der Türkei nicht vertretbar, sagte der jugendpolitische Sprecher der Grünen.

Auch in der SPD-Bundestagsfraktion gibt es dem Vernehmen nach erhebliche Widerstände gegen das Geschäft. Am Freitag war es aber nicht möglich, eine Stellungnahme zu bekommen. Wie zu hören war, wird das Thema jedoch auf einer Klausurtagung der Fraktion Anfang September zur Sprache kommen. Der SPD-Verteidigungsexperte Manfred Opel verteidigte die Liefergenehmigung. Er sieht wie der parteilose Bundeswirtschaftsminister Werner Müller darin keinen Verstoß gegen die neuen Richtlinien für den Rüstungsexport.

Simmert beklagte, dass die Bundestagsfraktion der Grünen nicht über die anstehende Entscheidung informiert worden sei. Hier habe es, wie bei dem Streit um die Lieferung von Leopard-2-Panzern an die Türkei, erneut Kommunikationsdefizite gegeben. Jetzt müsse die Fraktion der Grünen nach Wegen suchen, wie der Export doch noch verhindert werden könne.

Der Fraktionschef der Grünen, Rezzo Schlauch, sieht dafür jedoch keine Handhabe. "Die Fraktion hat keine Möglichkeit, an dieser Entscheidung etwas zu ändern, weil hier nach Recht und Gesetz entschieden wurde", sagte ein Sprecher Schlauchs. Da die alte Bundesregierung in diesem Fall bereits positive Vorentscheidungen getroffen habe, habe der Bundessicherheitsrat rechtlich keine andere Wahl gehabt, als die Genehmigung zu erteilen.

Die Spitze der Bundestagsfraktion war seinen Angaben zufolge allerdings sehr wohl vorab über den Fall informiert. Sowohl der Fraktionsvorstand als auch der zuständige Arbeitskreis hätten gewusst, dass es eine entsprechende Voranfrage der hessischen Firma Fritz Werner aus dem Jahr 1997 gab und die Frage zur endgültigen Entscheidung anstand. Die Beschlüsse des Bundessicherheitsrates seien jedoch geheim, sagte der Sprecher. "Das macht die Sache nicht schöner, aber so ist die Gesetzeslage", sagte er. Ähnlich äußert sich der Grünen-Bundesgeschäftsführer Reinhard Bütikofer. Er sagte aber auch: "Unter dem Gesichtspunkt der Menschenrechte würde man solche Geschäfte nicht anbahnen.

Außenminister Joschka Fischer (Grüne) warnte davor, die Exportgenehmigung vorschnell und überhitzt zu beurteilen. Solche Entscheidungen trügen "auch Kompromisscharakter".

Die hessische Landesregierung kritisierte den aufkommenden Streit. Es könne nicht sein, dass lange vorbereitete und im Prinzip genehmigte Ausfuhrgeschäfte durch "rot-grüne Koalitionsscharmützel" gefährdet würden, sagte der hessische Minister für Bundes- und Europaangelegenheiten Franz Josef Jung (CDU) am Freitag in Wiesbaden.