junge Welt, 26.08.2000

Grüne schieben Schuld auf Kohl

Proteste gegen Rüstungsexportgenehmigung in die Türkei durch den Bundessicherheitsrat

Heftige Empörung hat die Erteilung einer Genehmigung an eine deutsche Firma zur Lieferung von Anlagen für eine Munitionsfabrik in der Türkei durch die Bundesregierung bei Hilfsorganisationen und Menschenrechtsvereinen ausgelöst. Hans Branscheidt, Nahost-Koordinator der Organisation medico international, erklärte am Freitag gegenüber jW, die in der neuen Fabrik produzierte kleinkalibrige Munition werde wegen ihrer hohen Durchschlagskraft und ihrer Zielgenauigkeit unter anderem für den Nahkampf in den Berggebieten des kurdischen Ostens eingesetzt. Den Kleinwaffen von Firmen wie Fritz Werner, die jetzt den Zuschlag bekommen hat, seien »die meisten der 38 000 Toten des Krieges in Kurdistan zum Opfer« gefallen. Nach Informationen von medico hat das aktuelle Munitionsgeschäft mit der Türkei einen Umfang von 90 Millionen DM.

Scharfe Kritik äußerte auch die Menschenrechtsorganisation amnesty international. amnesty- Rüstungsexperte Mathias John sagte am Donnerstag in Berlin, Rot-Grün setze mit der Genehmigung die »unselige Tradition« früherer Regierungen fort. Die Koalition müsse sich fragen lassen, wie ernst es ihr mit ihren erst im Januar 2000 verabschiedeten »Politischen Grundsätzen« zum Rüstungsexport sei.

Bundeswirtschaftsminister Werner Müller (parteilos) erklärte am Freitag in einem Zeitungsinterview, bei der Entscheidung der Bundesregierung sei mit Sicherheit nicht gegen die neuen Exportrichtlinien verstoßen worden. Bundesaußenminister Joseph Fischer (Grüne) lehnt unter Berufung auf seine Verschwiegenheitspflicht als Mitglied des Sicherheitsrates weiter jede Stellungnahme ab. Grünen- Fraktionschefin Kerstin Müller rechtfertigte die Entscheidung am Donnerstag gegenüber der Nachrichtenagentur ddp mit dem Hinweis, sie sei »eine weitere Altlast«. Die Vorgängerregierung unter Helmut Kohl (CDU) habe bereits seit 1997 den entsprechenden Voranfragen rechtsverbindlich zugestimmt. Deshalb könnten die Grünen »den Export der Munitionsfabrik zum jetzigen Zeitpunkt nicht mehr verhindern«, so sehr sie dies bedauere. Im Gegensatz zur verteidigungspolitischen Sprecherin der Grünen-Fraktion, Angelika Beer, die sich darüber beklagt hatte, niemand habe ihr etwas über die Abstimmung im Sicherheitsrat gesagt, behauptet Müller, die Fraktion sei vorab darüber informiert worden. Beer hatte die Genehmigung einen »Verstoß gegen die Rüstungsexportrichtlinien« genannt und die Einberufung eines koalitionsinternen Gremiums verlangt, das vor derart brisanten Beschlüssen beraten müsse.

Unterdessen hat der SPD-Verteidigungsexperte Manfred Opel Beers Kritik als »isolierte Meinung« bezeichnet. Im NachrichtenRadio MDR info in Halle warnte er die Grünen vor jeglichem Aufmucken und zeigte sich zuversichtlich, daß die Entscheidung der Regierung keine Koalitionskrise hervorrufen werde. Opel warnte, daß die Diskussion über den Export bei den NATO-Partnern die Frage aufkommen lasse, »wie kooperationsfähig« die BRD im Bündnis sei, wenn es sich aus der NATO-Rüstungskooperation verabschiede. Es sei das »kleine Ein-Mal-Eins der Sicherheitspolitik«, daß NATO- Partner für ihre Gewehre Munition brauchten, um »mit uns zusammen« das Bündnis zu verteidigen, so Opel. Auf die Türkei müsse »durch Nähe Einfluß« gewonnen werden. Nach Beer kündigte am Freitag allerdings auch der jugendpolitische Sprecher der grünen Bundestagsfraktion, Christian Simmert, an, er werde die Entscheidung nicht mittragen, weil die Fraktion nicht über die anstehende Entscheidung informiert worden sei.

(jW/ddp/AP)