WEB.de 26.08.2000 11:39

Koalitionsstreit um Rüstungsgeschäft mit Türkei spitzt sich zu

Klose will grundsätzlich alle Exporte an Nato-Partner erlauben - Roth bezweifelt Verbindlichkeit von Vorentscheidung
Berlin/Düsseldorf (AP)
Im Koalitionsstreit um die bereits erteilte Exportgenehmigung für eine Munitionsfabrik in der Türkei hat der SPD-Politiker Hans-Ulrich Klose den Grünen indirekt «gespaltene Moral» vorgeworfen. Klose, der auch Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im Bundestags ist, forderte am Samstag im Deutschlandradio Berlin zudem, der Rüstungsexport an NATO-Bündnispartner müsse grundsätzlich erlaubt sein. Die Grünen-Politikerin und Vorsitzende des Menschenrechts-Ausschusses des Bundestags, Claudia Roth, rügte dagegen die Entscheidungsabläufe und deren Darstellung auch in der eigenen Fraktion.
Klose erklärte zu dem Streit: «Wenn man mit einem Land in einem Bündnis ist, dann kann man einem solchen Land die Rüstungsgüter nicht verweigern. Sonst muss man sich entscheiden, ein Bündnis mit so einem Land nicht einzugehen.» Die Munitionsfabrik diene dazu, dass die Türkei die von der NATO beschlossenen kleineren Kaliber herstellen könne und damit ihre Bündnisverpflichtungen erfülle. Es zeuge von einer «gespaltenen Moral», wenn die Deutschen sagten 'wir sind uns zu fein, lass das die Engländer oder Franzosen machen'».
Die Grünen-Politikerin Roth erklärte in der in Düsseldorf erscheinenden «Rheinischen Post» zu der Darstellung führender Grüner, der Bundessicherheitsrat habe wegen positiv beantworteter Export-Voranfragen nicht mehr anders entscheiden können: «Man kann nicht sagen, dass allen Voranfragen, die jemals positiv beschieden worden sind, per se zuzustimmen ist. Das wäre ja eine Entpolitisierung des entscheidenden Gremiums.» Zudem würde es sie sehr wundern, wenn die Grünen-Fraktion informiert gewesen sei.
Fischer und Wieczorek-Zeul sollen dagegen gestimmt haben
Bei der bereits im Frühjahr erfolgten Abstimmung im Bundessicherheitsrat haben nach einem Zeitungsbericht Außenminister Joschka Fischer (Grüne) und Entwicklungshilfeministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD) gegen die Lieferung votiert und wurden dabei aber bereits zum zweiten Mal überstimmt. Die Ludwigshafener Zeitung «Rheinpfalz» (Samstagausgabe) berichtete unter Berufung auf Regierungskreise, Bundeskanzler Gerhard Schröder und Verteidigungsminister Rudolf Scharping, beide SPD, sowie der parteilose Wirtschaftsminister Werner Müller hätten bereits der umstrittenen Lieferung eines Testpanzers an die Türkei zur Mehrheit verholfen.
Fischer erklärte am Freitagabend im ARD-Fernsehen, «dass solche Entscheidungen auch Kompromisscharakter tragen». Die Vorsitzende der Grünen-Bundestagsfraktion, Kerstin Müller, sagte ebenfalls in der ARD, sie halte die Lieferung für falsch, «weil die Menschenrechtslage in der Türkei nach wie vor hoch problematisch ist».
Ihr Kollege im Fraktionsvorsitz, Rezzo Schlauch, ließ erklären: «Die Fraktion hat keine Möglichkeit, an dieser Entscheidung etwas zu ändern, weil hier nach Recht und Gesetz entschieden wurde.» Da die frühere Bundesregierung Vorentscheidungen getroffen habe, sei dem Bundessicherheitsrat keine andere Wahl geblieben. In der «Frankfurter Rundschau» erklärte dagegen Grünen-Verteidigungsexpertin Angelika Beer, nachdem klar sei, dass keine deutschen Panzer an die Türkei geliefert werden dürften, müssten die gleichen Kriterien auch für andere Waffen und Munition gelten.

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