Delmenhorster Kreisblatt, 25.8.2000

Hasan Sevimlis Mitschüler sind enttäuscht und wütend: "Waren alle Aktionen umsonst?"

"Das Schlimmste ist die Resignation"

Wie Hasans aramäischer Freund Antonio Kaya (rechts) reagierten gestern auch die anderen Schüler der Klasse 10 a in der Hauptschule West geschockt: Ihr kurdischer Mitschüler ist untergetaucht, um der von der Ausländerbehörde angeordneten Abschiebung zu entgehen. Foto: Schilling

iwi Delmenhorst. Die Stimmung ist bedrückt in der Klasse 10 a der Hauptschule West. Und das liegt nicht am Ende der Ferien, sondern vor allem daran, dass seit gestern einer fehlt in der Klassengemeinschaft: Hasan Sevimli. An den letzten drei Schultagen vor den Sommerferien hatte sich der 18-jährige Kurde noch wie seine 19 Mitschüler zuversichtlich auf den Endspurt bis zum Realschulabschluss vorbereitet. Sechs Wochen später ist alles anders. Hasan hält sich seit zehn Tagen an einem unbekannten Ort versteckt, um der Abschiebung in die Türkei zu entgehen. Bereits am Dienstag vergangener Woche, so hatte es die Ausländerbehörde beabsichtigt, sollte Hasan in einem Flugzeug nach Istanbul sitzen. "Ich soll Euch herzliche Grüße von Hasan bestellen", durchbricht Schulleiterin Ingrid Shigo das hilflose Schweigen in der Klasse. Über eine Kontaktperson habe sie erfahren, dass es Hasan "seelisch sehr schlecht" gehe. Er habe eine schwere Depression und empfinde es als sehr schmerzlich, heute am ersten Schultag nicht dabei sein zu dürfen. Klassenlehrer Ralph Höpfner versucht, die Sprachlosigkeit seiner Schüler aufzufangen, hilft ihnen, Enttäuschung und Wut in Worte zu fassen. Die meisten der 16- und 17-Jährigen hatten an den letzten Ferientagen aus der Zeitung erfahren, was mit ihrem Mitschüler passiert ist. die letzten Telefongespräche mit ihm liegen Wochen zurück. Mathias Izykowski kann es nicht fassen, dass die Stadt Hasan abschieben will, "obwohl wir doch am Tag vor den Ferien alle mit dem Oberbügermeister gesprochen haben". Abduraman Boydag räumt ein, die Antworten des Oberbürgermeisters seien so formuliert gewesen, dass sie keiner der Schüler richtig verstanden habe. Cian Azgin vermutet, dass die Festnahme als Nacht- und Nebel-Aktion außerhalb der Schulzeit geplant worden sei, "damit die Sache nicht soviel Aufsehen erregt, und die Schule nicht dagegen protestieren kann". Der Kurde kann sich in die Situation seines Mitschülers, der aus der gleichen Region wie er kommt, gut hineinversetzen: Seine Familie, die mittlerweile Asylrecht hat, kennt die zermürbende Unsicherheit während eines Asylverfahrens. Melanie Mühlbach, die bei der Demonstration der Antifa am vergangenen Sonnabend dabei war, regt sich auf. "Hasan war so nett, hat sich mit allen verstanden. Und anderen, die nur Scheiße bauen, passiert nichts". Die Aktion von Ausländeramt und Polizei empfindet sie als "hinterhältig und herzlos" und es deprimiert sie, dass "alle unsere Aktionen jetzt wohl umsonst waren". Sarah Müldner kann nicht begreifen, weshalb die Stadt ihren Mitschüler als "wirtschaftliche Belastung" empfindet. "Ich habe mich gut mit Hasan verstanden. Er war immer sehr nett zu den Mädchen". Wieder meldet sich Cian: "Sie jagen ihn jetzt wie einen Schwerverbrecher, aber er hat doch nichts gemacht". Angesichts der rechten Gewalt gegen Ausländer fragen die Schüler, weshalb die Politik hier nicht ebenso entschlossen durchgreife wie in Asylfragen. Vitali Kreker vermutet sogar, die Politiker ständen angesichts zunehmender Ausländerfeindlichkeit unter Druck. Cian hat im Fernsehen den Prozess gegen Skinheads in Halle verfolgt, die im Juni einen Afrikaner ermordet hatten. Dass die Täter keine Reue zeigten, hat ihn am meisten erschüttert. Der Klassenlehrer spürt in den Gesichtern und Äußerungen seiner Schüler vor allem Resignation. "Und das ist das Schlimmste. Den jungen Leuten wird so gezeigt, dass es nichts bringt, sich zu engagieren". Im Gespräch mit Konrektor Manfred Gliese fügt die Schulleiterin hinzu: "Die Stadt hat mit der Abschiebung auch die Chance vertan, Hasan als wichtige Integrationsfigur in der Jugendarbeit einzusetzen. Bei Konflikten in der multikulturellen Klassemit acht verschiedenen Nationalitäten habe er immer bewiesen, dass man mit Gesprächen mehr als mit Fäusten erreiche. "Wirklich traurig ist, dass der Junge so großes Vertrauen in unsere Hilfe gesetzt hatte".