Berliner Morgenpost, 25.8.2000

«So brisant wie die Panzerlieferung»

Neues Rüstungsgeschäft: Deutsche Munitionsfabrik für die Türkei - Proteste bei den Grünen

Von Rüdiger Scharf

Berlin - Die Nachricht schreckte Angelika Beer in Spanien auf. Mitten im Sommerurlaub erfuhr die Verteidigungsexpertin der Grünen über ihr Handy von einem neuen deutschen Rüstungsgeschäft mit der Türkei. Die hessische Firma Fritz Werner Industrieausrüstungen GmbH liefert an die Regierung in Ankara eine Munitionsfabrik für Handwaffen. Eine entsprechende Genehmigung für das 90-Millionen-Geschäft sei schon «vor einigen Wochen» erteilt worden, bestätigte gestern das Bundeswirtschaftsministerium in Berlin.

«Ich bin überrascht», sagte Angelika Beer der Berliner Morgenpost. Sie könne die Entscheidung «nicht nachvollziehen» und erwarte nun eine Erklärung der Bundesregierung. «Dass man das Kriterium Menschenrechte außer acht gelassen hat, ist für mich unerklärlich.» Für sie habe die Produktionsanlage zur Herstellung von Gewehrmunition «mindestens genau soviel Brisanz wie die Panzerlieferung», sagte die Abgeordnete.

Die Lieferung eines Testpanzers vom Typ Leopard 2 hatte die rot-grüne Regierung im Herbst 1999 in eine ihrer schwersten Krisen geführt. Der Streit konnte erst nach Wochen entschärft werden, als sich SPD und Grüne auf neue Exportgrundsätze verständigten, die am 19. Januar 2000 beschlossen wurden. Demnach soll Deutschland seine Rüstungsexporte noch restriktiver handhaben als bisher. Eines der wichtigsten Lieferkriterien soll dabei die Beachtung der Menschenrechte im jeweiligen Empfängerland sein. Bisher sah die Bundesregierung dieses Kriterium in der Türkei nicht erfüllt. Dies wurde in der Debatte um die mögliche Lieferung von insgesamt 1000 Leopard-2-Panzern immer wieder betont und eine Verbesserung der Menschenrechtssituation eingefordert. Kanzler Gerhard Schröder (SPD) verschob erst im März eine geplante Türkei-Reise auf unbestimmte Zeit.

Dass es trotz dieser Vorgeschichte jetzt doch zu einem Rüstungsexport kommt, kann Angelika Beer nicht verstehen. Das aktuelle Geschäft sei mit den Beschlüssen der Koalition «unvereinbar», sagte die Verteidigungsexpertin. «Eine Munitionsfabrik ist nicht besser als ein Leo.» Sie forderte «mehr Transparenz» bei Rüstungsgeschäften und eine frühere Information des Parlaments

In der Fraktionsführung der Grünen sorgte die Nachricht allerdings nicht für solche Aufregung. Man halte die Export-Genehmigung zwar für «politisch falsch», könne sie aber «zum jetzigen Zeitpunkt nicht mehr verhindern», sagte Fraktionschefin Kerstin Müller. Sicherlich habe Außenminister Joschka Fischer im geheim tagenden Bundessicherheitsrat seine Bedenken gegen das Projekt angemeldet. Aber auf wütenden Protest und einen handfesten Koalitionsstreit wird bewusst verzichtet. «Das ist eine weitere Altlast», sagte Müller und erklärte so den Pragmatismus.

Für die Munitionsfabrik habe es schon unter der alten Bundesregierung «seit 1997 mehrere Voranfragen» gegeben, die «immer positiv entschieden wurden», sagte eine Sprecherin des Wirtschaftsministeriums. An diese Zusage fühlt sich nun auch die Fraktionsspitze der Grünen gebunden. Es gebe rechtliche Verbindlichkeiten, weshalb man im Gegensatz zur Panzerlieferung «nicht die freie Entscheidung» habe.

Diese Argumente zerriss die Union allerdings sofort in der Luft. Die Türkei-Politik der rot-grünen Bundesregierung sei «unglaubwürdig», sagte der CDU-Verteidigungsexperte Paul Breuer. «Nein zu Panzern aber ja zu Munition und Gewehren» sei ein Merkmal für eine «reine Symbolpolitik» und den Zick-Zack-Kurs der Regierung. Es sei jedoch kein Zeichen «für eine profilierte Politik».

Aus der Sicht von Breuer könnte die Menschenrechtssituation in der Türkei nur verbessert werden, «wenn man das zusammen mit unseren Nato-Partnern macht». Eine deutsche «Bevormundungspolitik» sei dagegen nicht angebracht. Der Verteidigungsexperte wies auch darauf hin, dass ein Leopard-Panzer nicht in Kurden-Gebieten der Türkei eingesetzt werden könne. «Gewehre aber durchaus», sagte Breuer.

Die Gesellschaft für bedrohte Völker verurteilte den «Rüstungsdeal» und forderte eine Erklärung von Fischer. Das Geschäft könne nur mit Billigung des Ministers erfolgt sein. Dies stehe in eklatantem Widerspruch zu den menschenrechts- und friedenspolitischen Argumenten, mit denen sich der Grüne gegen die Panzerlieferung ausgesprochen habe.

Die Firma Werner hat bereits mehrere Rüstungsaufträge aus Ankara erhalten. Jetzt soll eine Produktionsanlage gebaut werden, weil die Armee neue Munition für ihre Gewehre braucht. Das Kaliber wird auf Nato-Standard umgestellt.