Hannoversche Allgemeine, 24.8.2000

Eine Munitionsfabrik für die Türkei

Während die Bundesregierung die Lieferung von Leopard-Kampfpanzern an die Türkei mit Hinweis auf die Menschenrechtsverletzungen derzeit ablehnt, hat sie klammheimlich grünes Licht für die Lieferung einer deutschen Anlage zur Herstellung von Gewehrmunition an Ankara gegeben. Der Vertrag über das 90-Millionen-Mark-Geschäft wurde am Mittwoch in Ankara unterzeichnet. Vertragspartnerin des deutschen Lieferanten ist das türkische Verteidigungsministerium. Die türkische Armee braucht neue Munition für ihre Gewehre, weil die Nato die gesamte kleinkalibrige Munition ihrer Mitgliedsstaaten umrüstet. Das Nato-Kaliber 7,62 wird Schritt für Schritt auf 5,56 umgestellt, was auch in der Türkei zu einem Bedarf an einer neuen so genannten Produktionslinie zur Munitionsherstellung geführt hat. Aus einer internationalen Ausschreibung ging die deutsche Firma Fritz Werner Industrie-Ausrüstungen GmbH in Geisenheim bei Wiesbaden als Sieger hervor. Die Firma hatte bereits in der Vergangenheit Maschinen zur Munitionsherstellung in der Türkei geliefert. Fritz Werner ist eine Tochterfirma der zum MAN-Konzern gehörenden Ferrostahl AG. Wie Kreisen verlautete, trafen die Voranfragen von Fritz Werner wegen des Türkei-Geschäfts bei der Bundesregierung auf ein wohlwollendes Echo. Es gebe "Signale, wonach das Geschäft möglich ist", hieß es. Ohne solche Zusicherungen wäre der Vertragsabschluss nicht möglich. Anders als bei der Technologie zur Herstellung von Gewehrmunition lehnt die Bundesregierung eine Lieferung von Kampfpanzern an Ankara ab. In der Türkei sorgt diese Haltung Berlins schon seit langem für Verärgerung. Offiziell steht die Entscheidung der Bundesregierung über einen Export des Leopard-Panzers an die Türken zwar noch aus, weil sich die Erprobungen der angebotenen Panzer durch die türkische Armee in die Länge ziehen und Ankara zudem von Geldsorgen geplagt wird. Doch die Bundesregierung hat mehrfach klargestellt, dass Ankara erst dann mit einem Ja zur Panzerlieferung rechnen kann, wenn sich die Menschenrechtslage in der Türkei entscheidend verbessert. Das Interesse des türkischen Nachbarn Griechenland an deutschen Panzern wird den Unmut der Türken über diese deutsche Haltung noch verstärken. Die Bundesregierung hatte in diesen Tagen ihre Bereitschaft erklärt, die Lieferung von Leopard-2-Panzern an Griechenland mit einer milliardenschweren Exportgarantie abzusichern. Athen setze seine gegen die Türkei gerichtete Aufrüstung fort, kommentierte die Zeitung "Milliyet". Trotz der türkisch-griechischen Annäherung nach den Erdbeben des vergangenen Jahres beobachten sich die beiden Rivalen in der Ägäis weiterhin misstrauisch.

Thomas Seibert, Istanbul