Frankfurter Rundschau, 23.8.2000

Polizei verschwieg Skinhead-Tat

Itzehoer Staatsanwalt hielt Informationen zurück / Dessauer Rechte geständig

Wegen der "politischen Brisanz" des Falles hat die Staatsanwaltschaft Itzehoe tagelang nicht über einen Überfall von Skinheads auf einen 32-jährigen Deutschen afrikanischer Herkunft berichtet. Zu Beginn des Prozesse gegen drei Rechtsextreme, die sich wegen Mordes an dem Mosambikaner Alberto Adriano in Dessau verantworten müssen, legten die Beschuldigten weitgehende Geständnisse ab.

ITZEHOE/HALLE/FRANKFURT A.M., 22. August (ap/dpa/tm/ing). Drei Skinheads haben in der schleswig-holsteinischen Kleinstadt Barmstedt einen 32-jährigen Mann verprügelt. Wie die Staatsanwaltschaft Itzehoe erst am Dienstag mitteilte, hatte das Opfer zusammen mit Frau und Kind am vergangenen Samstag ein Volksfest besucht. Dort verprügelten die Rechtsextremen den Mann, der Abschürfungen und Prellungen erlitt. Die Polizei nahm die drei mutmaßlichen Täter fest, gegen zwei von ihnen, die 20 Jahre alt sind, wurde wegen Wiederholungsgefahr Haftbefehl erlassen. Das Opfer hat laut den Angaben einen deutschen Pass.

Laut Staatsanwaltschaft wurde die Öffentlichkeit wegen der "politischen Brisanz" des Vorfalls erst jetzt informiert. Auf Anweisung der Staatsanwaltschaft hatte die zuständige Polizeibehörde Auskünfte verweigert. Weil Jugendliche beteiligt gewesen seien, sei man "zu Recht" zurückhaltend gewesen. Eine Pressemitteilung sei nicht verfasst worden. Ein Sprecher von Justizministerin Anne Lütkes (Grüne) sagte: "Es scheint möglicher Weise unglücklich gelaufen zu sein." Selbstverständlich werde von den Staatsanwaltschaften in Schleswig-Holstein mit größtmöglicher Offenheit über derartige Fälle informiert.

Nach Informationen der Nachrichtenagentur ap wird gegen einen der Inhaftierten seit Längerem ermittelt. Dabei geht es um eine Serie von Anschlägen gegen den Elmshorner IG-Metall-Chef Uwe Zabel. Mehrfach hatten Rechte Mordaufrufe gegen den Gewerkschafter veröffentlicht und dessen Büro attackiert.

Zwei Rechtsextreme stachen nach Polizeiangaben am Montag abend in Halberstadt einen 17-Jährigen nieder. Er wurde auf die Klinik-Intensivstation gebracht.

Zehn Wochen nach der Tötung des Mosambikaners Adriano im Dessauer Stadtpark gestanden am Dienstag vor Gericht die drei Angeklagten die Tat nach Aussage von Prozessbeobachtern weitgehend. Zu den Motiven habe sich das Trio, zwei 16-Jährige und ein 24-Jähriger, noch nicht geäußert, hieß es. Die Bundesanwaltschaft spricht von Mord aus "dumpfem Ausländerhass". Der 39-jährige dreifache Familienvater Adriano war laut Anklage in der Nacht zum Pfingstsonntag von den angetrunkenen Männern angepöbelt und zu Boden geschlagen worden. Minutenlang sollen sie, rassistische Parolen grölend, mit Fäusten und Springerstiefeln auf den Wehrlosen eingetreten und diesen entkleidet haben. Das Opfer starb drei Tage später an seinen Kopfverletzungen.

Der Prozess vor dem Oberlandesgericht Naumburg findet im Justizzentrum Halle bis zur Urteilsverkündung unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Das Gericht folgte damit einem Antrag der Verteidigung. Der Anwalt der Witwe, die als Nebenklägerin zugelassen wurde, sprach sich dagegen aus. Es müsse Rechtsextremen mit einer öffentlichen Verhandlung demonstriert werden, dass es "keine schweigende Mehrheit" für solche Taten gebe, sagte der Anwalt.

Vor der steten Gefahr des Rechtsextremismus in Deutschland warnte Benjamin Ferencz, Hauptankläger bei dem Nürnberger SS-Einsatzgruppenprozess nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, in einem Gespräch mit der FR. Das Aufkeimen des Rechtsextremismus sei umso bedauerlicher, als Deutschland nach dem Ende des Nationalsozialismus "eine Demokratie aufbaute und für viele Menschen ein Asylort wurde". Er persönlich habe dies nicht erwartet, nachdem er in Nürnberg von den Angeklagten "nie ein Wort des Bedauerns" gehört habe. Dass es der deutschen Wirtschaft noch immer nicht gelungen sei, ihren Beitrag für den Entschädigungsfonds für ehemalige Zwangsarbeiter aufzubringen, bezeichnete Ferencz als "lächerlich".