junge Welt, 22.08.2000

Rotgrüner Segen für Staudamm

PDS fordert Ablehnung von Hermes-Bürgschaften für das Ilusu-Projekt in der Türkei

Zum zweiten Mal hat der Bürgermeister der südosttürkischen Stadt Hasankeyf, Vahap Kusen, seine Informationsreise über die Folgen des geplanten Ilusu-Großstaudammprojekts auf Drängen der türkischen Regierung kurzfristig absagen müssen. Durch das Projekt würden die historisch wertvolle Stadt Hasankeyf, die einzige noch erhaltene antike Siedlung in Obermesopotamien, und 40 umliegende Dörfer vollständig geflutet werden.

Insgesamt würden 36 000 Menschen ihre angestammte Heimat verlieren. Auch der entwicklungs- und menschenrechtspolitischer Sprecher der PDS-Fraktion im Bundestag, Carsten Hübner, hatte Kusen für Montag eingeladen, um auf einer Pressekonferenz über das Projekt zu berichten.

Trotz internationaler Proteste halte die Bundesregierung bisher an ihrem Vorhaben fest, der an dem Projekt beteiligten Firma Sulzer eine Hermes-Bürgschaft in Höhe von 150 Millionen Mark zu gewähren. Selbst die bisher von der Koalition geplante »Konditionierung« der Bürgschaft sei nach Informationen aus Regierungskreisen auf Intervention von Bundeskanzler Schröder inzwischen vom Tisch, so Hübner gegenüber jW. Das bedeutet, daß eine Bindung der Bürgschaft an bestimmte Auflagen, wie z.B. die »sozialverträgliche Umsiedlung« der betroffenen Bevölkerung nicht mehr vorgesehen sein soll. Eine solche Konditionierung hatte z.B. die Schweizer Regierung zur Bedingung für die Erteilung einer entsprechenden Bürgschaft gemacht.

Die englische Regierung kam nach einer wissenschaftlichen Untersuchung sogar zu dem Ergebnis, dem Projekt keinerlei Unterstützung angedeihen zu lassen. Es sei nicht erkennbar, daß die türkische Regierung die Bereitschaft und die Fähigkeit hätte, die sozialen, politischen und ökologischen Folgen des Projektes angemessen zu berücksichtigen, heißt es in dem Bericht.

Kritiker sind sich darüber einig, daß das Projekt keineswegs für die türkische Enrgieversorgung notwendig ist, sondern vielmehr der Kontrolle der Wasserressourcen im syrisch- irakisach-türkischen Grenzgebiet dient und somit der strategischen Vormachtstellung der Türkei in dieser Region. Nach wie vor weigert sich die Türkei, die UN-Konvention über die Nutzung nicht schiffbarer Wasserwege zu unterzeichnen, neue Konflikte zwischen den Anrainerstaaten sind damit vorprogrammiert.

Die PDS fordert nach wie vor, keine Bürgschaften für dieses Projekt zu gewähren und wird im September einen entsprechenden Antrag im Bundestag einbringen. Hübner rechnet trotz erheblicher Vorbehalte in den Reihen von SPD und Grünen gegen den Staudammbau nicht mit einer Mehrheit für diesen Antrag. Die Koalition wolle das Projekt auf alle Fälle absegnen lassen, um der Türkei für den Fall der Ablehnung der Lieferung von 1 000 Leopard-Partnern ein adäquates Trostpflaster anbieten zu können, so Hübner gegenüber jW. Die Erfahrung im Bundestag zeige, daß sich auch die Kritiker in den Reihen der Regierungsparteien mit großer Mehrheit der Koalitionsraison beugen werden.

Rainer Balcerowiak