Basler Zeitung (CH), 19.8.2000

Front gegen Saddam Hussein wankt

Immer mehr Länder halten die Wirtschaftssanktionen gegen Irak für kontraproduktiv und fordern deren Aufhebung. Nun hat sich der Unterausschuss der UNO-Kommission für Menschenrechte für eine Lockerung der Sanktionen ausgesprochen - gestützt auf den Bericht des belgischen Experten Marc Bossuyt.

Genf. sim./SDA. Die Einheitsfront gegen den irakischen Diktator Saddam Hussein beginnt zu bröckeln. In einem Unterausschuss der UNO-Menschenrechtskommission entzündete sich diese Woche ein Streit über die vor zehn Jahren gegen Irak verhängten Wirtschaftssanktionen. Nach einem von dem Unterausschuss bestellten Arbeitspapier des Belgiers Marc Bossuyt sind diese Sanktionen «eindeutig illegal». Sie verstiessen gegen das humanitäre Völkerrecht und gegen die Menschenrechte. «Manche gehen so weit, Klage wegen Völkermord zu erheben», fügt Bossuyt hinzu (BaZ vom Freitag).

Amerikaner reagieren sauer

Die Antwort der USA kam unverzüglich: Die Darstellung sei «unkorrekt, voreingenommen und feuergefährlich». Das Sanktionenregime habe Irak von Anfang an nicht daran gehindert, humanitäre Güter wie Nahrungsmittel oder Medikamente einzuführen. Die UNO-Unterkommission für Menschenrechte hat sich am Freitag trotz dieser Intervention für eine Lockerung der Sanktionen ausgesprochen und den Sicherheitsrat aufgerufen, das Leid der irakischen Bevölkerung zu lindern. Sanktionen sollten befristet sein, keinesfalls die Zivilbevölkerung treffen und aufgehoben werden, falls die Ziele nicht erreicht würden. Bossuyt war früher selbst Mitglied des Unterausschusses der Menschenrechtskommission und kennt die Machtverhältnisse. Wenn er sich so weit zur Verteidigung Saddam Husseins auf die Äste hinauswagte, dann hat er wohl einen Stimmungswandel in den internationalen Beziehungen erkannt. Russland, Frankreich und andere Staaten finden es an der Zeit, die als kontraproduktiv empfundenen Sanktionen gegen den Despoten am Tigris abzubrechen. Erwartet wird zumindest eine Lockerung des Handelsembargos. Wirtschaftliche Interessenvertreter stehen in den Startlöchern, um bei der Aufteilung des irakischen Kuchens ein möglichst grosses Stück zu erhaschen. Irak war vor dem Golfkrieg einer der grössten Erdölexporteure der Welt und ein guter Käufer von Industriegütern einschliesslich Waffen.

Nicht die Machthaber leiden

Das Arbeitspapier Bossuyts ist nicht allein auf Irak zugeschnitten. Untersucht werden auch die Folgen der Embargos gegen Kuba und Burundi. Bossuyt gelangt zum Ergebnis, dass die von den USA, der UNO oder einer regionalen Staatengruppe gegen eine Diktatur verhängten Strafmassnahmen nicht die Machthaber oder den Unterdrückungsapparat treffen, sondern vornehmlich die Zivilbevölkerung. Neu ist nur, dass in der UNO jetzt über ein Arbeitspapier diskutiert wird, in dem die vom Sicherheitsrat verhängten Sanktionen als illegal bezeichnet werden. Die Zeichen, dass viele Regierungen sanktionsmüde geworden sind, häufen sich. Vor einer Woche besuchte Venezuelas Präsident Hugo Chavez als erster fremder Staatschef Bagdad. Er sucht Verbündete für seine globale Erdölstrategie. Heute Samstag trifft ein russisches Flugzeug mit 300 Passagieren in «humanitärer Mission» in Bagdad ein. Der Sanktionsausschuss der UNO hat den Flug genehmigt. Am Donnerstag wurde der internationale Flughafen von Bagdad wieder geöffnet. Der französische Priester Jean-Marie Benjamin will im September mit einem vollen Jumbo-Jet von Paris nach Bagdad fliegen, um das Embargo zu durchbrechen. Derweil bombardieren amerikanische und britische Kampfflugzeuge immer wieder Ziele in der nördlichen und südlichen Flugverbotszone Iraks - innert einer Woche viermal.

Kommentar

Ein sicheres Rezept gibt es nicht

Ein neues Debakel der UNO bahnt sich an. Zehn Jahre nach ihrer Verhängung haben die Wirtschaftssanktionen gegen Irak die Zivilbevölkerung an den Rand des Abgrunds gebracht, doch das Regime sitzt weiter fest im Sattel. Seit einiger Zeit mehren sich die Stimmen, diese nutzlose Übung abzubrechen.

Dahinter steckt nicht nur Mitgefühl mit den darbenden Menschen, sondern auch Gewinnsucht. Irak war vor dem Golfkrieg eine einzige Baustelle, auf der es viel Geld zu verdienen gab. Noch wesentlich grösser muss jetzt der Nachholbedarf der Iraker sein. Die hohen Ölpreise machen das Land zu einem zahlungsfähigen Kunden, sobald wieder «business as usual» auf der Tagesordnung steht. Die irakischen Fördermengen würden auch dazu beitragen, den Ölmarkt wieder ins Gleichgewicht zu bringen. Die Sanktionen sind aber nicht ganz vergeblich. Sie haben Saddam Hussein immerhin daran gehindert, ein neues Arsenal von Massenvernichtungswaffen aufzubauen. Man muss sich die Frage stellen, was schwerer wiegt: das Wohlergehen von 23 Millionen Irakern oder die Sicherheit der gesamten Region. Ein politischer Sieg würde erneut Saddams Eroberungsgelüste anstacheln. Saddam von aussen zu stürzen, wie die USA es sich vorstellen, scheint aussichtslos. Der einzige Weg liegt wahrscheinlich darin, das Embargo zu lockern, um dem Regime und der Bevölkerung ein Licht im Tunnel zu zeigen. Als Gegenleistung müsste Bagdad Garantien für künftiges Wohlverhalten liefern. Ein sicheres Rezept gibt es aber nicht - das müssen Befürworter und Gegner der Sanktionen erkennen.

Pierre Simonitsch, Genf