Basler Zeitung (CH), 19.8.2000

Nicht mehr viel Hoffnung für Iran

Jan Keetman, Istanbul

Es ist noch nicht lange her, dass die Hoffnungen auf grosse Veränderungen in der Islamischen Republik Iran sich überschlugen. Nach den Parlamentswahlen vom 18. Februar schien eine neue Epoche der iranischen Gesellschaft zum Greifen nahe. Im Grunde stützten sich diese Hoffnungen nicht zuletzt auf den psychologischen Effekt der Wahlen, die klipp und klar gezeigt hatten, dass drei von vier Iranern Reformen wollen.

Doch es musste klar sein, dass sich mit Hilfe der von Khomeini eingeführten Verfassung jede Reformbewegung, die nichts hinter sich hat als glänzende Wahlergebnisse, blockieren lässt. Letztlich war es also eine Hoffnung auf die Einsicht der Konservativen, dass sie angesichts des offensichtlichen Nutzens, den die Reformbewegung innen- und aussenpolitisch für ihr Land verspricht, und langfristig auch im Interesse des Ansehens ihrer Religion den geordneten Rückzug antreten würden. Das Gegenteil ist geschehen. Zunächst gab es ein langes Hickhack um die Anerkennung der Wahlergebnisse. Die Wahl einiger Reformpolitiker wurde annulliert, der Rest erst sehr spät bestätigt. Zwar gaben die Konservativen schliesslich im Grossen und Ganzen nach - aber nur, um gleichzeitig einen neuen Angriff auf die Reformer zu starten. Mitte April verschärfte das noch amtierende alte Parlament das Presserecht, und der religiöse Führer Ali Khamenei begann eine verbale Attacke gegen die «Zentren der Feinde des Islam» in der Presse. Innerhalb von Tagen wurde die gesamte Reformpresse des Landes von der konservativen Justiz dicht gemacht, und zahlreiche Journalisten und Herausgeber mussten sich vor Gericht verantworten. Auch rasch gegründete neue Zeitungsprojekte überlebten nicht lange. Noch ehe sich das neue Parlament mit der Mehrheit der Reformer konstituierte, hatten diese ihr Sprachrohr in der Öffentlichkeit verloren. Radio und Fernsehen werden ohnehin von den Konservativen kontrolliert. Dem Wirken der Mehrheit im Parlament wurden auch rasch Grenzen gesetzt. Ein neues Scheidungsrecht, das die Rechte der Frauen gestärkt hätte, wurde vom Wächterrat mit Verweis auf den Koran abgelehnt. Als die Reformer ein neues Presserecht einbringen wollten, scheiterte die Diskussion darüber schon an einem Brief Khameneis, den Parlamentspräsident Karrubi vor der Diskussion verlas. Nun sind gewiss nicht alle, die auf dem Reform-Ticket ins Parlament gekommen sind, auch wirklich kämpferische Reformer. In der grossen Woge schwimmt natürlich auch mancher Opportunist mit. Einer von diesen, der Abgeordnete Ali Schakouri-Rad, hat die Zeichen der Zeit offenbar erkannt. Er kritisierte die Entscheidung Karrubis, den Brief Khameneis vor der Debatte über die Liberalisierung des Presserechts zu verlesen. Nach seiner Meinung hätte Karrubi dies nach der Aussprache tun und dann die Abstimmung zulassen sollen. Die Ageordneten hätten darauf sicher im Sinne Khameneis abgestimmt, und alles wäre in Ordnung gewesen. Es mag sein, dass sich die Reformer von ihrer Niederlage wieder etwas erholen. Vor einigen Tagen war gar zu hören, einige Reformzeitungen könnten wieder zugelassen werden. Nicht unähnlich der Situation nach den Studentenunruhen im letzten Sommer, ist daraus zu schliessen, könnte es hinter den Kulissen, wohl zwischen Präsident Mohammed Khatami und Khamenei, Gespräche gegeben haben. Khamenei könnte demnach bereit sein, den Druck auf die Reformer zu mildern. Doch bis dahin ist den Reformern noch nie so deutlich gezeigt worden, dass die Unterstützung durch die Bevölkerung kein Schutz gegen ihre allenfalls völlige Entmachtung ist. Nicht nur das Parlament wurde in bisher ungekanntem Masse übergangen: In einem Prozess wegen Korruption muss auch der Minister für Kultur und religiöse Führung, Ayatollah Mohajerani, der für die Aufsicht der Presse zuständig ist, vor Gericht erscheinen, ebenso seine für die Presse zuständigen Mitarbeiter. Der Verdacht liegt nahe, dass sie eingeschüchtert werden sollen, damit sie für geschlossene Zeitungen nicht gleich wieder neue zulassen. Angesichts dieser Umstände und der laufenden Verurteilungen und Inhaftierungen von Journalisten ist anzunehmen, dass Reformblätter, falls sie wieder erscheinen dürfen, sich hüten werden, grundsätzliche Kritik zu äussern. Das wäre dann eine Demokratie à la Schakouri-Rad. Nur für so etwas haben die iranischen Wähler die Reformer nicht gewählt. Mohammed Khatami selbst könnte dies zu spüren bekommen, wenn er sich in einem knappen Jahr zur Wiederwahl für eine zweite Amtszeit stellt. Es ist noch zu früh, die iranische Reformbewegung einfach als gescheitert abzuschreiben. Doch der Raum für Hoffnungen ist spürbar enger geworden: In Zukunft wird man weniger darauf schauen dürfen, was die Reformer wollen, als darauf, was die Konservativen, allen voran Khamenei, bereit sind, noch zuzulassen. Die Frage, ob die Konservativen sich mit ihrer Absage an jedes bisschen grundsätzlichen Wandel auf die Dauer einen Gefallen tun, steht auf einem anderen Blatt.