Frankfurter Rundschau, 19.8.2000

Front gegen Iraks Diktator bröckelt

Im Blickpunkt: Debatte um UN-Embargo

Von Pierre Simonitsch (Genf)

Die Front gegen den irakischen Diktator Saddam Hussein beginnt zu bröckeln. In einem Unterausschuss der UN-Menschenrechtskommission entzündete sich in dieser Woche ein Streit über den Wert der vor zehn Jahren gegen Irak verhängten Wirtschaftssanktionen.

Nach einem von dem Unterausschuss bestellten Arbeitspapier des Belgiers Marc Bossuyt sind die Sanktionen gegen den Irak "eindeutig illegal". Sie verstießen gegen das humanitäre Völkerrecht und gegen die Menschenrechtsgesetze. Manche ausländischen Beobachter sprächen gar von "Völkermord", fügt Bossuyt hinzu.

Die Antwort der USA kam unverzüglich. "Das Arbeitspapier von Herrn Bossuyt über die Auswirkungen der Sanktionen beunruhigt uns stark", erklärte US-Botschafter George Moose. Die von Bossuyt gelieferte Darstellung des Wirtschaftsembargos der UN gegen Bagdad sei "unkorrekt, voreingenommen und brandgefährlich". Die UN habe von Anfang an Irak nicht daran gehindert, Güter wie Nahrungsmittel oder Medikamente einzuführen. Botschafter Moose sieht die Glaubhaftigkeit des Unterausschusses der Vereinten Nationen in Gefahr.

Der von dem UN-Organ als Experte zu Rat gezogene belgische Jurist ist kein politischer Selbstmörder. Er war früher selbst Mitglied des Unterausschusses und kennt die Machtverhältnisse. Wenn er sich so weit zur Verteidigung Saddam Husseins hinauswagte, hat er wohl einen Stimmungswandel in den internationalen Beziehungen erkannt. Russland, Frankreich und etliche andere Staaten finden es nämlich an der Zeit, die als kontraproduktiv empfundenen Sanktionen gegen den Despoten am Tigris zu beenden. Erwartet wird zumindest eine Lockerung des Handelsembargos. Wirtschaftliche Interessenvertreter stehen in den Startlöchern, um bei der Aufteilung des irakischen Kuchens ein möglichst großes Stück abzubekommen. Irak war vor dem Golfkrieg einer der größten Erdölexporteure der Welt und ein guter Kunde von Industriegütern einschließlich Waffen.

Dar Arbeitspapier des belgischen Experten unter dem Titel "Negative Auswirkungen von Wirtschaftssanktionen auf den Genuss der Menschenrechte" ist nicht allein auf Irak zugeschnitten. Untersucht werden auch die Folgen der Embargos gegen Kuba und Burundi. Bossuyt gelangt darin zu dem keineswegs originellen Ergebnis, dass die von den USA, den UN oder einer regionalen Staatengruppe gegen eine Diktatur verhängten Strafmaßnahmen nicht die Machthaber oder deren Unterdrückungsapparat treffen, sondern vornehmlich die Zivilbevölkerung. Neu ist nur, dass in den UN jetzt über ein Arbeitspapier diskutiert wird, in dem die vom UN-Sicherheitsrat verhängten Sanktionen gegen Bagdad als illegal bezeichnet werden.

Die Wirtschaftssanktionen gegen Irak waren beschlossen worden, nachdem irakische Truppen Kuwait besetzten. Nach dem Golfkrieg wurde Irak weitgehend entwaffnet. Vor zwei Jahren warf Saddam Hussein aber die Waffeninspektoren der UN hinaus und ist nicht bereit, über einen Kompromiss zu verhandeln. Er macht die völlige Aufhebung der Sanktionen zur Vorbedingung für jedes Abkommen. Ein Programm "Öl gegen Nahrung" erlaubt es den Irakern, für jährlich 10,4 Milliarden Dollar Erdöl zu exportieren und dafür Lebensmittel und Medikamente einzukaufen.

Die Zeichen, dass viele Regierungen sanktionsmüde geworden sind, häufen sich. Vor einer Woche besuchte Venezuelas Präsident Hugo Chavez als erster ausländischer Staatschef Bagdad. Er sucht Verbündete für seine globale Erdölstrategie. Am Samstag wird ein russisches Flugzeug mit 300 Passagieren in "humanitärer Mission" in Bagdad eintreffen. Der UN-Sanktionsausschuss hat den Flug genehmigt. Am Donnerstag wurde der internationale Flughafen von Bagdad wieder geöffnet. Der französische Priester Jean-Marie Benjamin will im September mit einem vollen Jumbo-Jet dorthin fliegen, um das Embargo zu durchbrechen.