junge Welt, 19.08.2000

Die Geister, die ich rief

Türkische Gemeinde wirft deutschen Politikern das Schüren des Rechtsextremismus vor

Die Türkische Gemeinde in Deutschland macht Politiker auf höchster Ebene mitverantwortlich für die rassistische Gewalt in Deutschland. »Die Sprache, die Politiker aller Parteien in den Kampagnen gegen das Asylrecht, das Einbürgerungsrecht, oder gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften verwenden, sind ein gefundenes Fressen für die Rechten«, sagte ihr stellvertretender Vorsitzender, Safter Çinar, am Freitag in Berlin.

Çinar zeigte sich erstaunt über die plötzliche Empörung gegenüber dem Rechtsextemismus in Deutschland. »Otto Schily selbst hat noch vor einem Jahr gesagt, das Boot sei voll.« Es sei natürlich zu begrüßen, wenn die Gesellschaft sich endlich auf breiter Front mit dem Thema Rassismus beschäftige. Die Bekämpfung von Rechtsextremismus dürfe aber nicht nur die Symptome behandeln. »Wir fordern zugleich eine umfassende Integrations- und Anti- Diskriminierungspolitik.«

Die Türkische Gemeinde forderte die Regierung auf, aus den UMTS-Einnahmen Mittel für eine Stiftung bereitzustellen, die kontinuierlich und unbürokratisch antirassistische Aktivitäten fördern soll. Çinar möchte außerdem das Bündnis für Toleranz mit Leben füllen. »Dazu müßte es aber unabhängig von der Regierung werden«, sagte er.

Ein neues Einwanderungs- und Integrationsgesetz hält Çinar für die wichtigste Voraussetzung eines friedlichen Zusammenlebens. »Zuwanderung muß auch ganz oben nicht mehr ängstlich vermieden, sondern positiv bewertet werden.« In der Kommission, die Bundesinnenminister Otto Schily zum Thema »Zuwanderung und Integration« eingesetzt hat, vermißt Çinar Vertreter von Minderheitenorganisationen. »Ich hoffe, daß die Kommission selbst diesen Makel erkennt und die Migrantinnen frühzeitig in die Diskussion einbezieht.«

Das von einer EU-Richtlinie geforderte Antidiskriminierungsgsetz müsse sofort umgesetzt werden. »Die Regierung darf die Frist von drei Jahren nicht verstreichen lassen. Wir brauchen das Gesetz jetzt«, betonte Çinar.

Zur Diskussion um ein NPD-Verbot sagte Çinar, er sei grundsätzlich dafür, rechtlich mit allen Mitteln gegen rassistische Organisationen und Parteien vorzugehen. »Es ist nicht hinzunehmen, daß unter dem Schutz des Parteienprivilegs mit staatlichen Geldern neonazistische Infrastruktur aufgebaut wird.« Allerdings müsse ein Verbot sorgfältig rechtlich geprüft werden. »Ein Verbotsversuch, der scheitert, wäre natürlich eine Katastrophe.«

Monika Krause