junge Welt, 19.08.2000

Betonmauer gegen Flüchtlinge

Asylheim in Celle isoliert. Neonazis begrüßen Vorgehen der Stadtverwaltung.

Von Reimar Paul

Die Mauer steht! In dieser Woche vollzogen Bauarbeiter den Beschluß des Celler Stadtrates, das Flüchtlingswohnheim an der Harburger Heerstraße mit einem Betonwall zu umgeben. Bis auf ein Element, das die Baufirma versehentlich vergessen hatte, das Eingangstor und eine Überwachungsschleuse waren die Arbeiten am Donnerstag nachmittag abgeschlossen. Die Kameras in der Pforte und Sicherheitsleute sollen überprüfen, wer in das Haus geht und wer herauskommt.

Fassungslos beobachteten die Asylbewerber den Bau der 1,80 Meter hohen Mauer. »Nun sind wir im Knast«, zitierte eine Zeitung einen Schwarzafrikaner. 130 000 Mark soll das Bauwerk kosten.

Alles halb so schlimm, wiegeln Verwaltung und Kommunalpolitiker ab. Das Heim sei ja gar nicht gänzlich ummauert, so SPD-Fraktionsgeschäftsführer Joachim Schulze. Der Bürgersteig vor dem Gebäude sei schließlich unbebaut geblieben. Astrid Peters von der CDU nimmt das Wort Mauer gar nicht in den Mund, sie spricht lieber von einer »Einfriedung«. Absurd erschient die Reaktion der Grünen, die den ursprünglichen Ratsbeschluß noch voll mitgetragen hatten. »Wir werden einen Antrag stellen, daß ein Teil wieder abgerissen wird«, erklärte die Celler Ratsfraktion der Partei gestern. Die Bundestagsabgeordnete Claudia Roth appellierte sogar an die Stadt, den Mauerbau einzustellen.

In dem ehemaligen Hotel leben rund 60 männliche Asylbewerber, die meisten stammen aus Afrika oder dem Kosovo. Das Wohnheim wird von der Firma Olympic betrieben, die auch anderenorts ähnliche Häuser unterhält und ebenso im Geschäft mit Wertgutscheinen für Flüchtlinge mitmischt.

Seit Beginn des Jahres machen Kommunalpolitiker und Lokalpresse gezielt Stimmung gegen die Heimbewohner. »Behörden schauen weg: Prostitution, Rauschgifthandel und offene Gewalt«, titelte etwa die »Cellesche Zeitung« am 22. Januar. Und schilderte ein Szenario, in dem das Haus zum Drogenumschlagplatz und die Mehrheit der Bewohner zu Dealern mutierte, die Jugendliche gewaltsam zum Rauschgiftkonsum zwingen. Noch am selben Tag durchsuchte die Polizei das Gebäude. Die Beamten stellten nach eigenen Angaben elf Gramm Kokain, 32 Gramm Marihuana sowie drei Schreckschußpistolen sicher. Das veranlaßte die Zeitung am 23. Januar zu der Überschrift: »Asylbewerberheim Treffpunkt für Abhängige: Drogenfahnder stellten Kokain und Waffen sicher«.

Die herbeigeschriebene Reaktion der Politik ließ nicht lange auf sich warten. Nachdem sich obendrein noch »Anwohner« über en »Drogenhandel« beschwert hatten, beschloß der Stadtrat im Februar, das Grundstück zu ummauern. Die örtlichen Neonazis von der »Kameradschaft 3« bejubelten das Vorgehen von Polizei und Politik, die Artikel der Celleschen Zeitung wurden auf der Internetseite der Rechtsextremisten dokumentiert. Lediglich das »lasche Vorgehen der Celler Justiz« gegen die Flüchtlinge war den Nazis ein Dorn im Auge.

Kritik an dem Mauerbau übten vor allem überregional aktive Organisationen wie der Niedersächsische Flüchtlingsrat. In der Stadt selbst meldeten sich am Donnerstag »einige Celler Bürger« zu Wort. »Der Bau des Schutzwalls«, heißt es in ihrer Erklärung, füge sich »in eine Politik ein, die die Kriminalisierung und Stigmatisierung von Flüchtlingen betreibt. Sie werden durch die Maßnahmen der Stadt Celle in Sippenhaft genommen und ohne Gerichtsurteil eingesperrt«.