junge Welt, 14.08.2000

Strafaktion nach Chávez-Besuch Irak:
Tote und Verletzte nach britisch-amerikanischen Luftangriffen.

Von Rüdiger Göbel

Kaum hatte der Präsident Venezuelas, Hugo Chávez, in der letzten Woche seinen Staatsbesuch in Irak beendet, bombardierten Kampfflugzeuge der USA und Großbritanniens das Zweistromland. Bei den massiven Angriffen sind im Südirak nach irakischen Angaben zwei Menschen getötet und mehr als 20 weitere verletzt worden. Ziel der Angriffe am Freitag und Samstag war die Stadt Samawa, 275 Kilometer südlich von Bagdad gelegen. Nach Regierungangaben und Augenzeugenberichten wurden zahlreiche Regierungsbüros bombardiert, außerdem das wichtigste Verteilungszentrum für Nahrungsmittel und sechs Wohnhäuser. Am Samstag wurde zudem der Bahnhof von Samawa bombardiert. Auch dabei sind einem Bericht der irakischen Nachrichtenagentur INA zufolge mehrere Menschen verletzt und Wohnhäuser beschädigt worden.

Iraks Außenminister Said el Sachaf sandte einen Brief an die Vereinten Nationen, in dem der Sicherheitsrat aufgerufen wurde, weitere Angriffe zu verhindern. Seit Dezember 1998 wurden bei den Bombardierungen rund 300 Menschen getötet und mehr als 900 verletzt.

Die USA rechtfertigten die neuerliche Aggression gegen Irak. Mit den »Luftschlägen« hätten die beiden Militärjets der Marine auf irakische Artillerieangriffe reagiert, teilten die US- Streitkräfte in Florida mit. Demnach seien die britischen und amerikanischen Kampfjets zuerst beschossen worden. Daraufhin hätten sie Flugabwehrstellungen und eine Raketenabschußbasis angegriffen. Die irakischen Berichte über zivile Opfer und zerstörte Lagerhallen anstelle der angegebenen Militäreinrichtungen wurden ignoriert.

Unterdessen mehren sich die Stimmen nach einem Ende der Blockade des Irak. Am Samstag hat sich Indonesien den Forderungen nach einer Aufhebung des Embargos angeschlossen. Zuvor hatte Venezuelas Staatschef Chávez bei seinem Besuch in Jakarta eindringlich die Leiden der irakischen Bevölkerung unter den Strafmaßnahmen geschildert, die nach der irakischen Invasion in Kuwait vor zehn Jahren vom Sicherheitsrat der UNO verhängt worden waren. Die Sanktionen seien ungerecht und verursachten ungeheures Leid unter den irakischen Kindern, sagte Chavez. »Wer hat das Recht, dort unschuldige Kinder sterben zu lassen? Gott habe Mitleid mit denen, die dies tun.« Und er fügte hinzu: »Ich glaube, es ist Zeit, damit Schluß zu machen.«

In den vergangenen zehn Jahren starben mehr als eineinhalb Millionen Menschen im Irak, darunter über 500 000 Kinder unter fünf Jahren, an den Folgen der Blockade. Der indonesische Präsident Abdurrahman Wahid unterstützte die Forderung Chavez' nach Aufhebung des Embargos und kündigte an, in den kommenden Monaten ebenfalls nach Bagdad reisen zu wollen. Chávez war am vergangenen Donnerstag und Freitag als erstes westliches Staatsoberhaupt seit zehn Jahren in den Irak gereist und hatte damit die internationale Isolation des Landes durchbrochen. Washington hatte den Bagdad-Besuch des venezolanischen Präsidenten scharf kritisiert. Die Strafaktion folgte umgehend.