Die Presse (A), 14.8. 2000

Fehde zwischen Präsident und Regierung

Um eine Regelung, die die laizistische Ordnung des Staates sichern soll, ist ein Konflikt zwischen Staatsoberhaupt Sezer und dem Kabinett Ecevit entbrannt.

Von unserem Korrespondenten Jan Keetman

ISTANBUL. Bisher fiel der seit Mai im Amt befindliche neue türkische Staatspräsident Ahmet Necdet Sezer vor allem durch einen für einen Präsidenten ganz ungewohnten Lebensstil auf. Anstatt sich von der Polizei einfach den Weg freimachen zu lassen, wartet die Fahrzeugkolonne des Staatsoberhaupts geduldig an jeder roten Ampel in Ankara. Bilder kursierten in der Presse, die dem staunenden Volk seinen neuen Präsidenten auf dem Markt beim Einkaufen zeigen. Doch die Flitterwochen im Amt sind vorbei, seit sich Sezer mit der Regierung von Premier Bülent Ecevit in einer ganz anderen Stilfrage der Politik angelegt hat. Es geht um eine Verordnung, die die Entlassung von Beamten ermöglichen soll, die entweder die laizistische Ordnung des Staates unterwandern wollen oder als Separatisten eingestuft werden. Für die neue Verordnung wird mit Argumenten wie "der Staat muß selbst Mördern Lohn zahlen" Stimmung gemacht. Doch die Fehde, die Sezer mit der Regierung begonnen hat, geht gar nicht um den Inhalt der Verordnung. Der ehemalige Präsident des Verfassungsgerichts beanstandet bisher nur, daß die Regierung die neue Regelung einfach als Verordnung am Parlament vorbei und nicht als Gesetz durchbringen will.

Laizismus versus Recht?

Nach langem Nachdenken hat er sich daher unter Berufung auf seinen Amtseid und die darin ausgesprochene Herrschaft des Rechts geweigert, das Dekret zu unterschreiben. Die Berufung auf den Amtseid soll offenbar die Schwäche von Sezers eigener rechtlicher Position überwinden helfen, denn der türkische Präsident hat kein allgemeines Vetorecht. Auch die Regierung will nicht einfach klein beigeben. Aus ihren Reihen wird die Meinung kolportiert, daß das Prinzip des laizistischen Staates über dem Prinzip der Rechtsstaatlichkeit stünde. Jedenfalls hat sich Ecevit mit seinen Koalitionspartnern, Devlet Bahceli von der Partei der Nationalistischen Bewegung und Mesut Yilmaz von der konservativen Mutterlandspartei, darauf geeinigt, die Verordnung in einer leicht überarbeiteten Form Sezer noch einmal zur Unterschrift vorzulegen. Wahrscheinlich ist, daß Sezer schließlich nachgibt, unterschreibt und gleichzeitig das Verfassungsgericht anruft. Wie immer es auch weitergehen mag: Der Ausgang des Streits wird wohl mit darüber entscheiden, welches politische Gewicht der neue Präsident, an dessen Reformwillen große Hoffnungen geknüpft werden, künftig haben wird. Ein Handicap könnte sein, daß Sezer zwar ein hervorragender Jurist ist, aber überhaupt keine Erfahrung in politischer Taktik besitzt.