Frankfurter Rundschau, 14.8.
Beim Radikalen-Dekret zeigt Sezer, dass er kein gefügiger Präsident ist

Staatspräsident will Verordnung zur Entlassung islamistischer Beamter nicht unterzeichnen - und sein Förderer Ecevit zürnt

Von Gerd Höhler (Athen)

Alles setzte der türkische Premier Bülent Ecevit im Frühjahr daran, den parteilosen Verfassungsrichter Ahmed Necdet Sezer zum Staatspräsidenten zu küren. Das gelang, aber Ecevits gefügiger Präsident will Sezer deshalb nicht sein. Die beiden Männer haben sich in einen politisch brisanten Streit verstrickt.

Ecevit und Sezer sind auf Kollisionskurs, seit der Präsident vor einer Woche sein Veto gegen eine Regierungsverordnung einlegte, die die Entlassung von Staatsbediensteten ermöglichen solle, die islamistischer Umtriebe verdächtigt werden. Nach türkischen Presseberichten sollen rund 3000 Staatsdiener, die angeblich Verbindungen zu der radikalen Moslem-Untergrundorganisation Hisbollah haben, gefeuert werden. Die geplanten Entlassungen bedürfen keiner Begründung, Rechtsmittel wird es für Betroffene nicht geben.

Präsident Sezer verweigerte seine Unterschrift unter das Dekret. Nach seiner Meinung darf eine solche Maßnahme nicht im Verordnungsweg getroffen werden, sondern muss durch Gesetz mit Zustimmung des Parlaments geregelt werden. Doch Ecevit bleibt stur. Trotzig kündigte er an, die Regierung werde den Erlass dem Präsidenten in unveränderter Form erneut vorlegen. Sezer, so erklärte der Premier verärgert, sei kein Richter; als Staatspräsident habe er die Pflicht, das Dekret zu unterzeichnen. Wenn er Zweifel an der Rechtmäßigkeit habe, könne er das Verfassungsgericht einschalten.

Dass Sezer mehr als eine gefügige Galionsfigur sein will, ist keine Überraschung. Schon als Präsident des Verfassungsgerichts kritisierte er öffentlich die Einschränkungen der Meinungsfreiheit und das kurdische Sprachverbot in Schulen und Massenmedien. Gleich nach seiner Amtsübernahme mahnte Sezer erneut eine Aufarbeitung der Demokratie-Defizite an und sprach sich für eine Reform der türkischen Verfassung aus, die aus der Zeit der Militärdiktatur stammt und die Handschrift der Generäle trägt. Dennoch genoss Sezer bisher das Vertrauen der Militärs, galt er doch als engagierter Verfechter der weltlichen Verfassungsordnung.

Sein Verhältnis zu Ecevit scheint nun allerdings nachhaltig gestört. Zwei der wöchentlichen Routine-Audienzen mit dem Regierungschef sagte Sezer bereits ab. Der Staatspräsident empfange ihn "zur Zeit nicht", musste Ecevit öffentlich eingestehen. Politisch brisant ist der Konflikt aber vor allem, weil Sezer nun offen die Generäle herausfordert. Sie haben sich den Kampf gegen den islamischen Fanatismus auf ihre Fahnen geschrieben. Bei der jüngsten Sitzung des Nationalen Sicherheitsrates, der von den Militärs dominiert wird, habe Generalstabschef Hüseyin Kivrikoglu den Staatspräsidenten bedrängt, das umstrittene Dekret zu unterzeichnen, berichten türkische Zeitungen. Doch das zeigte offenbar keine Wirkung.

Für manche in der Türkei gebärdet sich Sezer ohnehin zu liberal. So lässt er bei der Fahrt durch Ankara seine Eskorte an jeder roten Ampel anhalten, geht mitunter selbst im Supermarkt einkaufen. Das entspricht nicht dem autoritären Stil, den Militärs und Politiker in der Türkei pflegen. Im Streit um den Radikalen-Erlass will Sezer aber hart bleiben. "Wenn ich nicht zustimme, kann das Dekret nicht in Kraft treten", zitiert Cumhuriyet den Präsidenten. Ecevit warnt unterdessen, er wolle sich "gar nicht ausmalen, was passiert, wenn der Präsident nicht unterschreibt". Und auch Vizepremier Mesut Yilmaz meinte, der Präsident werde das Dekret vor der nächsten Sitzung des Nationalen Sicherheitsrates unterschreiben, bevor sich die Affäre zu einer "Staatskrise" auswachse.