Neue Zürcher Zeitung (CH), 12.08.2000

Iran lässt 728 irakische Kriegsgefangene frei

Noch kein Ende der gegenseitigen Beschuldigungen

jpk. Genf, 11. August

Iran hat in den vergangenen Tagen 728 irakische Kriegsgefangene aus dem ersten Golfkrieg, der von 1980 bis 1988 dauerte, freigelassen. Wie das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) am Freitag in Genf mitteilte, wurden die Gefangenen in zwei Gruppen am Mittwoch und Donnerstag am iranisch-irakischen Grenzübergang von Mundhiriya/Khosravi unter Aufsicht von Mitarbeitern der humanitären Organisation freigelassen. Damit hat Iran seit April 1998 nach Angaben des IKRK insgesamt 10 600 irakische Kriegsgefangene freigelassen. Im gleichen Zeitraum liess der Irak 3 iranische Kriegsgefangene und 369 iranische Zivilisten frei. Seit dem Abschluss der Feindseligkeiten zwischen den beiden Ländern entliessen die beiden Parteien insgesamt über 98 000 Personen aus der Gefangenschaft.

Mit der Freilassung der 728 Iraker in dieser Woche ist das Problem der sich über mehr als zehn Jahre hinziehenden Freilassung der Kriegsgefangenen keineswegs erledigt. Nach irakischen Angaben befinden sich immer noch 29 000 Iraker in iranischer Gefangenschaft, Iran schätzt die Zahl der noch im Irak verbliebenen Kriegsgefangenen auf etwa 3000. Die offiziellen Zahlenangaben dürften zwar stark übertrieben sein, doch kann nicht ausgeschlossen werden, dass zumindest noch mehrere hundert, wenn nicht sogar einige tausend Personen als Faustpfand für die weiteren Verhandlungen zur Bereinigung der bilateralen Beziehungen von beiden Seiten zurückgehalten werden.

Das IKRK will zu der Zahl der noch in Kriegsgefangenschaft verbliebenen Personen keine Angaben machen. Die Organisation teilt auf Anfrage lediglich mit, dass IKRK-Delegierte in Iran bisher fast 7000 Iraker registriert haben, die aus Gefangenenlagern entlassen worden sind, aber nicht in ihre Heimat zurückkehren wollen. Um den Prozess der Freilassungen möglichst bald definitiv abschliessen zu können, will die Genfer Organisation in den kommenden Wochen weitere Gespräche mit Vertretern der beiden Länder führen.

Die Zahl der noch in Gefangenschaft verbliebenen Personen kann nur sehr schwer ermittelt werden. Dies ist unter anderem darauf zurückzuführen, dass die ehemaligen Kriegsgegner dem IKRK während des Golfkrieges nicht Zugang zu allen Gefangenen gewährt hatten. Während der grossen Freilassungsaktion nach Beendigung der Feindseligkeiten kamen auch viele Iraner im Irak frei, die von IKRK-Delegierten nie registriert worden waren. Iran seinerseits verwehrte dem IKRK den Zugang zu den Gefangenenlagern, nachdem die humanitäre Organisation gegen einen Vorfall in einem der iranischen Lager protestiert hatte. Es dauerte danach mehrere Jahre, bis sich das IKRK in Iran überhaupt wieder mit der Frage der Kriegsgefangenen beschäftigen und mit der Registrierung der Iraker beginnen konnte, die nicht in ihre Heimat zurückkehren wollten.