Wiesbadener Tagblatt, 12.8.2000

Kirchenraum als Schutzburg

Der "Fall Akyüz": Gemeinde informiert über den Einsatz für die Familie

BIEBRICH - Seit Wochen wohnt die elfköpfige kurdische Familie Akyüz in der Kirche der evangelischen Studentengemeinde Mainz. Aus Angst vor Abschiebung und vor Folter und Verfolgung in der Türkei hat sich die Mutter mit ihren Kindern unter das Kreuz geflüchtet. Der Vater wurde bereits abgeschoben, er lebt versteckt in der Türkei.

Von Wilhelm Schlieker

Die Evangelische Albert-Schweitzer-Gemeinde in Biebrich schloss sich im Juli dem Kreis der Kirchengemeinden an, die der Familie Akyüz Asyl bieten, oder dazu bereit sind. Pfarrer Wilfried Warneck informierte am Donnerstag Abend einige interessierte Zuhörer auch aus anderen Gemeinden über die Beweggründe für diesen Schritt.

Kirchenasyl, "das ist ein allerletzter Schritt", führte Warneck aus. Ein Schritt, der dann gegangen werden müsse, wenn staatliches Handeln gegen das christliche Selbstverständnis verstoße. Ein Weg in den zivilen Ungehorsam also, denn Kirchenasyl sei kein juristisches oder politisches Recht, eher moralische Verpflichtung. Wer Kirchenasyl gewähre, setze auf "die Schamschwelle der staatlichen Behörden, jemanden aus der Kirche herauszuholen.

"Wir schicken keine Beamten unter das Kreuz" lautete denn auch die Versicherung der Mainzer Polizei, nachdem die Familie Akyüz sich in die Kirche der Studentengemeinde geflüchtet hatte. Doch wer den Kirchenraum verlässt, setzt sich der Gefahr sofortiger Verhaftung und Abschiebung aus. Nicht einmal die Kinder dürfen hinaus, um die Schule zu besuchen, berichtet Pfarrer Friedrich Vetter, Flüchtlingsbeauftragter des Diakonischen Werkes. In anderen Fällen von Kirchenasyl räumten die Behörden wenigstens diese Freizügigkeit ein.

Die Situation für die Familie scheint vertrackt. Die bisherigen Eilverfahren im Asylprozess verliefen negativ für die Kurden. Obwohl die Geschichte der Familie von Folter und Vergewaltigung glaubhaft, das Schicksal der Verfolgten von deutschen Journalisten auch vor Ort in der Türkei recherchiert und belegt wurde, droht die Abschiebung.

Vater Akyüz widersetzte sich dem Ansinnen, "Dorfschützer" gegen die kurdische PKK in seinem Heimatort zu werden, wurde damit von der türkischen Obrigkeit als PKK-Sympathisant eingeordnet. Was ihm und seiner Familie in der Türkei Folter und Verfolgung einbrachte, ohne überhaupt politisch aktiv zu sein, brachte die deutschen Behörden zu dem kuriosen Schluss, dass die Familie Akyüz mangels politischer Betätigung auch nicht als politisch verfolgt einzustufen sei.

Die Kirchengemeinden, die der Familie Zuflucht gewährt haben, sind überzeugt: Die Behörden zeigen in diesem Fall unangemessene Härte. "Die Tatsache, dass der Familie in der Türkei Folter droht, genügt, damit sie nach dem Gesetz hier bleiben dürften", meint Pfarrer Vetter.

Pfarrer Wilfried Warneck hofft, dass der Unterstützerkreis für die Familie Akyüz ausgeweitet werden kann. Er wünschte sich prominente Fürsprecher für die Verfolgten, so wie vor Jahren den damaligen Oberbürgermeister Achim Exner oder den Limburger Bischof Kamphaus.

Das Kirchenasyl ermöglicht der kurdischen Familie den Schutz vor der Abschiebung wenigstens so lange, bis vor Gericht im Hauptsacheverfahren entschieden wurde. Ein Zuckerschlecken sei das Leben in der Kirche für die Familie jedenfalls nicht, eher ein aus der Angst und der Not selbst gewähltes, freiwilliges Gefängnis. "Kirchenasyl ist die Verzweiflungstat aller Beteiligten", so Pfarrer Vetter.