junge Welt, 12.08.2000

Verein verboten - Kader marschiert

Neonazigruppe »Hamburger Sturm« verboten, NPD-Verbot nicht näher gerückt.

jW-Bericht

Mit wortreichem Aktionismus überbieten sich seit Wochen Politikerinnen und Politiker gebündelt mit Prominenten wie Boris Becker und den Wildecker Herzbuben im »Kampf gegen rechts«. Im Schatten der Debatte können Sozial- und Demokratieabbau und regressive Flüchtlingspolitik ungestört fortgeführt werden. Nach der aufgeheizten Kampfhunddebatte, in der alles möglich war und in kürzester Zeit neue Verordnungen und Verbote durchgesetzt wurden, stellt sich hier ebenfalls die Fragen nach Taten.

Auch am Freitag quollen die Nachrichtenagenturen von Erfolgsmeldungen über wie den Festnahmen Jugendlicher beim Hören rechter Musik oder wegen Grölens rassistischer Parolen. Am selben Tag gab es die erste größere Aktion: Der Hamburger Senat verbot mit sofortiger Wirkung die Neonazi- Gruppe »Hamburger Sturm«. Klaus Harbat, Bundessprecher der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN-BdA), nannte das Verbot gegenüber jW »einen Schritt in die richtige Richtung«. Die Gruppe um den »Hamburger Sturm« sei eine der aktivsten und radikalsten Gruppen in Norddeutschland. Das Verbot sei eine gute Sache, aber natürlich auch eine einfache: Der »Hamburger Sturm« ist keine eingetragene Partei, das Verbot läuft über das Vereinsgesetz.

Verbote dieser Art sind nicht neu: Anfang der 80er Jahre wurde die »Aktionsfront Nationaler Sozialisten/Nationale Aktivisten« um Michael Kühnen und Christian Worch verboten, in den 90er Jahren die »Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei« und die »Nationale Liste« um Thomas Wulff und erneut um Worch. Trotz dieser Verbote, die nie konsequent gegen die Kader durchgesetzt wurden, konnten die Neonazis unbehelligt immer wieder neue Strukturen aufbauen.

Nun meldeten Wulff und Worch sogar einen Naziaufmarsch »gegen den Springer-Verlag« am 19. August in Hamburg an. Ein konsequentes Verbot des »Hamburger Sturm« müßte diese Demonstration mit einbeziehen.

In den kommenden Tagen und Wochen mögen weitere Verbote von Kameradschaften und neofaschistische Gruppierungen, die sich allzuweit nach vorn gewagt haben, folgen. Daß sich die Politiker aber an das NPD-Verbot herantrauen, ist eher nicht zu vermuten. Am Freitag kamen Experten des Bundes und der Länder in Berlin zusammen, um über ein Verbot der Partei zu beraten. Bis Mitte Oktober sollen die Ergebnisse vorliegen, damit die nächste Innenministerkonferenz im November über einen Verbotsantrag entscheiden kann. Das Bundesamt für Verfassungsschutz hatte sich bereits am Donnerstag zurückhaltend über ein mögliches Verbot der NPD geäußert.

Verfassungsschutzpräsident Heinz Fromm verwies auf die hohen juristischen Hürden. Voraussetzung sei ein »aggressiv- kämpferisches Auftreten«. Über diese Hürde sind allerdings NPD-Mitglieder, die in Wuppertal in der Gedenkstätte Kemna vor drei Wochen Antifaschisten angriffen und auch der JN- Funktionär, der am Donnerstag nach einem Anschlag auf einen türkischen Imbiß in Eisenach festgenommen wurde, längst gesprungen. Zum angeblich angestrebten Verbot wollen sich am heutigen Sonnabend auch der NPD-Vorsitzende Udo Voigt sowie das frühere RAF-Mitglied, der Berliner Rechtsanwalt Horst Mahler, äußern. Letzterer will die Initiative »Für Deutschland - Ja zur NPD« mit einer persönlichen Erklärung vorstellen. Beide treten zusammen auf einer Pressekonferenz des NPD-Parteivorstandes auf. Treffpunkt für interessierte Medienvertreter: 10.30 Uhr Eingangshalle Hauptbahnhof Karlsruhe.