Bremer Nachrichten, 12.8.2000

"Wir müssen für tolerante Gesellschaft werben"

Grüner Cem Özdemir: Bei Rechtsextremismus ist jede monokausale Lösung zum Scheitern verurteilt

Berlin. Zufrieden ist der Grünen-Politiker Cem Özdemir (Foto) damit, dass das Thema Rechtsextremismus zur Zeit ganz oben auf der politischen Tagesordnung steht. Warum er allerdings wenig von Forderungen nach einem NPD-Verbot und einer Einschränkung des Demonstrationsrechts hält, erläuterte der innenpolitische Sprecher der Bundestagsfraktion seiner Partei im Gespräch mit unserem Berliner Korrespondenten Andreas Herholz. Frage: Immer neue Vorschläge im Kampf gegen den Rechtsextremismus. Was muss aus Ihrer Sicht geschehen?

Özdemir: Zunächst bin ich froh darüber, dass das Thema endlich zur Chefsache wird. Gerade in den neuen Ländern ist die Entwicklung bereits seit Jahren dramatisch. Das hat nichts mit einer Stigmatisierung des Ostens zu tun. Jede monokausale Lösung ist zum Scheitern verurteilt. Wir müssen das Problem in seiner ganzen Dimension behandeln. Wir brauchen mehr Prävention und müssen für eine tolerante Gesellschaft werben. Es darf auch nicht sein, dass mit deutschen Steuergeldern die Arbeit der Rechtsextremisten erleichtet wird. Außerdem müssen Polizei und Justiz die bestehenden Gesetze konsequent anwenden und das bestehende Strafmaß ausschöpfen. Türkische Jugendliche werden abgeschoben, wenn sie sich strafbar machen, während deutsche Rechtsextremisten häufig mit milden Strafen davon kommen. Das muss sich ändern. Die Strafe sollte auf den Fuß folgen.

Frage: Bund und Länder wollen das Verbot der NPD rasch prüfen. Werden die Probleme damit nicht nur verschoben?

Özdemir: Ich rate da zur Besonnenheit. Das Verbot sollte man sehr gründlich prüfen. Es kann aber eine Situation erreicht werden, in der die Auflösung der NPD zur Verunsicherung in der Szene führen könnte. Der Verbotsantrag ergibt aber nur Sinn, wenn er Chancen auf Erfolg hat. Alles andere würde die rechte Szene nur noch weiter stärken.

Frage: SPD-Politiker fordern eine Verschärfung des Demonstrationsrechts. Könnten die provokanten Aufmärsche so gestoppt werden?

Özdemir: Finger weg vom Demonstrationsrecht! Das Demonstrationsrecht hat sich auch in schwierigen Situationen bewährt. Solange die NPD eine legale Partei ist, müssen wir es aushalten, dass diese Feinde der Demokratie auch vom Demonstrationsrecht Gebrauch machen. Allerdings sollte mit Verboten einzelner Demonstrationen mit Auflagen und dem Vorschreiben der Streckenführung gearbeitet werden. Unsere Antwort auf braune Propaganda muss sein, dass wir den Rechtsextremen zeigen, dass wir die große Mehrheit sind und Widerstand leisten, auch mit Demonstrationen. Solche hochsensiblen Orte wie das Holocaust-Mahnmahl müssen natürlich vor Rechtsextremisten und ihren Aufmärschen geschützt werden.

Frage: Die Forderungen nach Millionenprogrammen gegen den Rechtsextremismus werden immer lauter.

Özdemir: Mit Geld kann man den Rechtsextremismus in dieser Gesellschaft nicht beseitigen. Aber zum Nulltarif ist der Aufbau der Zivilgesellschaft nicht zu haben. Vor allem in den neuen Ländern müssen die Projekte gegen Rechtsextreme, die Jugendarbeit und die politische Bildung stärker unterstützt werden. Die Grünen haben sich für ein 10-Millionen-Programm im nächsten Haushalt eingesetzt. Das ist bereits mit der SPD vereinbart.