Stuttgarter Zeitung, 11.08.2000

Der Neue macht Ecevit erstmals Ärger
Es geht ums Prinzip: Die türkische Regierung will das Beamtenrecht verschärfen. Doch Staatspräsident Sezer pocht auf ein rechtsstaatliches Verfahren.

Von Jan Keetman, Istanbul

Bisher fiel der seit Mai amtierende neue türkische Staatspräsident Ahmet Necdet Sezer vor allem durch einen für Präsidenten ungewöhnlichen Lebensstil auf. Anstatt sich von der Polizei den Weg freimachen zu lassen, wartet die Fahrzeugkolonne des Präsidenten üblicherweise geduldig an jeder roten Ampel in Ankara. Bilder in der Presse zeigen dem staunenden Volk seinen Präsidenten beim Einkaufsbummel auf dem Markt.

Doch das Schaulaufen im Amt ist vorbei, seit Sezer sich mit der Regierung Ecevit angelegt hat. Es geht um eine Verordnung, die die Entlassung von Beamten ermöglichen soll, die entweder die laizistische (säkulare) Ordnung des Staates unterwandern wollen oder als Separatisten eingestuft werden. Für die neue Verordnung wird mit Argumenten wie "der Staat muss selbst Mördern Lohn zahlen'' polemisiert. Es gibt aber auch Stimmen, die das alte, keineswegs milde Beamtenrecht verteidigen.

Die Fehde, die Sezer gegen die Regierung begonnen hat, dreht sich weniger um den Inhalt der Verordnung. Der ehemalige Präsident des Verfassungsgericht beanstandet vielmehr, dass die Regierung die neue Regelung einfach als Verordnung, also am Parlament vorbei, und nicht als Gesetz erlassen will. Nach langem Nachdenken hat er sich daher unter Berufung auf seinen Amtseid und die darin ausgesprochene Herrschaft des Rechtes geweigert, das Dekret zu unterschreiben.

Die Berufung auf den Amtseid soll offenbar die Schwäche von Sezers rechtlicher Position kaschieren, denn der türkische Präsident hat kein allgemeines Vetorecht. Auch die Regierung will nicht einfach beigeben. Sie vertritt die Haltung, dass das Prinzip des laizistischen Staates und seiner Unteilbarkeit über dem Prinzip der Rechtsstaatlichkeit stünden. Jedenfalls hat sich Ecevit mit seinen Koalitionspartnern Devlet Bahceli von der Partei der Nationalistischen Bewegung und Mesut Yilmaz von der konservativen Mutterlandspartei darauf geeinigt, die Verordnung in einer leicht überarbeiteten Form Sezer noch einmal zur Unterschrift vorzulegen.

Wahrscheinlich ist, dass Sezer schließlich nachgibt, unterschreibt und gleichzeitig das Verfassungsgericht anruft. Der Ausgang der Auseinandersetzung ist mit entscheidend darüber, welches politische Gewicht der neue Präsident, an dessen Reformwillen große Hoffnungen geknüpft wurden, künftig haben wird. Ein Handicap könnte sein, dass Sezer zwar ein hervorragender Jurist ist, aber keinerlei politische Erfahrung besitzt.