junge Welt, 10.08.2000

Es reicht - wirklich!
Axel Springers altes Hetzblatt entdeckt Antifaschismus

Kommentar
»Es reicht!« titelte die »Berliner Morgenpost«, das Kalte-Kriegs- Traditionsblatt aus dem Hause Axel Springer, am Mittwoch. Bei Zeitungen aus diesem Stall folgten nach derart deklamatorischer Aufreißerei in den letzten Jahren nicht selten stammtischtaugliche Hetzartikel gegen »Asylbetrüger«, »ausländische Drogen- und Gewaltkriminelle« oder »kurdische Terroristen«. Auch das hatte Tradition. 1968 hetzte man Tag für Tag den rechten Mob gegen protestierende Studenten auf, bis sich ein Leser fand, der das Geschriebene ernst nahm und drei Kugeln auf Rudi Dutschke abfeuerte.

Doch jetzt ist alles ganz anders. »Mit Härte gegen die Neonazis« ist nunmehr das Anliegen des erprobten Kampfblattes. Man geht dabei in die Vollen: Gerhard »Das Boot ist voll«! Schröder darf ebenso gegen Fremdenfeindlichkeit wettern wie der alternde Rockpoet Heinz Rudolf Kunze, der ansonsten in den Medien eher mit seinem vehementen Eintreten für eine Zwangsquote deutscher Popmusik in den Rundfunksendern vertreten ist. Eberhard Diepgen fordert »Null-Toleranz«, bloß diesmal nicht wie sonst gegen »Autonome und Chaoten«, sondern eben gegen Rechtsextremisten. Ein CDU-Hinterbänkler namens Peter Ramsauer darf seine latenten Gewaltphantasien in der Form der Forderung nach Schnellgerichten postulieren, und Kriegsminister Rudolf Scharping will wieder einmal »Werte verteidigen« - eine nicht eben beruhigende Vorstellung. Angela Merkel fordert Berufsverbote im öffentlichen Dienst gegen Rassisten und dachte dabei vermutlich nicht an ihre hessischen Parteikollegen, die den letzten Landtagswahlkampf mit einer schmiergeldgespeisten ausländerfeindlichen Kampagne gegen die doppelte Staatsbürgerschaft für sich entscheiden konnten.

Im illustren Kreis dieser Weltklasse-Antifaschisten darf natürlich auch »Arbeitgeberpräsident« Dieter Hundt nicht fehlen. Seine Klassenbrüder fanden ja Faschismus seinerzeit gar nicht so übel, bescherte er ihnen doch unter anderem die Rahmenbedingungen für ungezügelte Ausbeutung ausländischer Zwangsarbeiter. Aber statt bei seinem Verein wenigstens die Brosamen einzusammeln, die die Überlebenden der Zwangsarbeit jetzt erhalten sollen, schwadroniert er lieber über »brutale Übergriffe auf Ausländer, die unser Ansehen in der Welt schädigen«. Das ist billiger - im wahrsten Sinne des Wortes.

Angesichts von soviel geballtem Antifaschismus können einem die Wildecker Herzbuben schon wieder richtig sympathisch werden. Die haben inzwischen verlauten lassen, daß sie bei der von der Bundesregierung initierten Kampagne gegen Rechts nicht mitmachen.

Rainer Balcerowiak