DER STANDARD (A), 10.8.2000

ANALYSE

Intervention des Religionsführers klärte die Fronten im Iran

STANDARD-Korrespondent Amir Loghmany aus Teheran

Die Iraner sind äußerst geduldige Leute und glauben fest an das Sprichwort "Schwarze Wolken im Frühling sind nicht von Dauer, danach kommt immer die Sonne heraus". Dass am Sonntag - DER STANDARD berichtete - im Parlament die Liberalisierung des Mediengesetzes von höchster Stelle abgedreht wurde, ist ein herber Rückschlag für die Reformbewegung, die mit dem Versprechen, für Presse- und Meinungsfreiheit zu sorgen, in die Parlamentswahlen gezogen war und diese gewonnen hatte. Nun haben die Parlamentarier die Grenzen ihrer Macht zu spüren bekommen.

Aber in der Geschichte gibt es einen Aspekt, der von außen leicht übersehen wird. Zum ersten Mal hat sich ein Eingriff der religiösen Führung im Parlament - also etwas, was es immer schon gegeben hat - vor den Augen aller, der gesamten iranischen Öffentlichkeit, abgespielt. Bisher war das immer ganz, ganz diskret passiert. Viele Iraner hatten bisher der Überzeugung angehangen, dass die Restriktionen gegen die Presse eine einsame Entscheidung der Justiz sind. Das ist jetzt widerlegt, jetzt weiß man, dass der religiöse Führer direkt dahintersteht. Und das können die Reformer als Erfolg verbuchen, denn sie haben durchgesetzt, dass der Brief von Revolutionsführer Khamenei - trotz aller Bedenken der konservativen Abgeordneten, die natürlich verstanden, worauf das Ganze hinauslief - im Parlament vorgelesen wurde. Nun sind die Fronten klar.

"Wenn Feinde des Islams und der Revolution die Presse unterwandern können, sind nationale Sicherheit, Einheit und Glaube ernsthaft in Gefahr. Dann kann ich nicht länger schweigen", hatte in dem Brief gestanden, den Parlamentspräsident Mehdi Karubi zu Beginn der Sitzung vorgelesen hatte. Die Debatte über die Reform des Pressegesetzes, die die Grundlage der Wiederzulassung von mehr als zwanzig verbotenen Zeitschriften und Zeitungen legen sollte, wurde daraufhin einfach von der Tagesordnung gestrichen.

Nun wird das iranische Parlament in den nächsten Tagen in mehreren nicht öffentlichen Sitzungen über die Ereignisse am Sonntag diskutieren. Die erwartete neue Welle von Einschränkungen gegen die unabhängige Presse und Journalisten ist indes bereits angerollt. Eine der letzten Bastionen des unabhängigen Tageszeitungsjournalismus, Bahar, wurde verboten, de facto bleibt den Reformern um Präsident Mohammed Khatami nur noch eine einzige Tageszeitung, Hajat'e No, eindeutig wohlgesonnen.

Die Stimmung im Iran ist jedenfalls polarisierter denn je. Präsident Khatami ritt während eines Besuchs in der Provinz Kurdistan eine vorsichtige, aber eindeutige Attacke gegen die Verhinderer von oben, als er verkündete: "So lange es eine junge Generation gibt, wird es auch weiter Pressefreiheit geben." Andererseits brachten die Konservativen am Dienstag ein paar Tausend Menschen auf die Straße, die vor dem Parlament in Teheran gegen die Lockerung des Presserechts demonstrierten. Dabei fielen die üblichen Verdächtigungen: "Wir wollen keine amerikanische Madjlis, amerikafreundliche Abgeordnete müssen abgesetzt werden", riefen die Demonstranten. Wirklich ernst nimmt das in Teheran keiner.