Badische Zeitung, 9.8.2000

Das 23. Blatt in vier Wochen

Weitere Zeitung im Iran verboten

LIMASSOL. Die konservative iranische Justiz hat die reformorientierte Tageszeitung Bahar verboten und damit die Pressefreiheit in der islamischen Republik vorerst begraben. Bahar (Frühling) wurde von einem Vertrauten von Staatschef Khatami herausgegeben.

Als Grund für das Verbot der auflagenstärksten iranischen Tageszeitung wurden Beschwerden über die Dienstagsausgabe genannt. Darin berichtete das Blatt über die Proteste reformorientierter Abgeordneter gegen Revolutionsführer Khamenei. Dieser hatte eine Parlamentsdebatte über die Verabschiedung eines Gesetzes über die Liberalisierung des Pressegesetzes verhindert. Seine Entscheidung begründete Khamenei mit "staatlichen Interessen". Das geltende Pressegesetz, behauptete der allmächtige Geistliche, habe sich als fähig erwiesen, die "Plage ausländischer Infiltrationen zu verhindern".

Wenige Stunden vor dem Verbot der 23. fortschrittlichen Zeitung innerhalb von nur vier Wochen hatten in Teheran Tausende von Fundamentalisten gegen jene Abgeordneten demonstriert, die am Sonntag Khameneis Maulkorberlass kritisierten. "Die unserem Führer feindlich gesinnten Volksvertreter", forderten sie, müssten aus dem Parlament ausgeschlossen werden. Der Vorsitzende des Kultur- und Presseausschusses im Teheraner Parlament, Pur-Nedschati, gab unterdessen aus Protest gegen die konservative Justiz seinen Rücktritt bekannt.

Beobachter im Iran warten nun auf eine Intervention von Staatspräsident Khatami. Dessen Bruder Reza hatte die Zeitungsverbote als "Massaker verurteilt, "durch das der Präsident den Kontakt zum Volk verliert". Michael Wrase