Berliner Zeitung, 8.8.2000

Schilys Kurswechsel in der Asylpolitik eröffnet neue Perspektiven

Die Debatte um eine Grundrechtsänderung wurde bislang mit fragwürdigen Argumenten geführt

Sigrid Averesch

Politische Kurswechsel vollziehen sich oft unspektakulär. Auch das Abrücken von Bundesinnenminister Otto Schily von früheren Äußerungen in der Asyldebatte wurde öffentlich kaum wahrgenommen. Der SPD-Politiker, der sich noch vor Wochen für die Einschränkung des Asylrechts aussprach, kam jüngst zu bemerkenswerten Erkenntnissen. "Ich glaube, die ganze Diskussion um das Grundrecht auf Asyl ist wahrscheinlich müßig", räumte er ein. "Das ist vielleicht auch eine Korrektur gegenüber meiner bisherigen Position."

Schilys neue Einsichten zeigen, dass bisher die Debatte um die Einschränkung des Asylrechts mit fragwürdigen Argumenten geführt wurde. Bereits die Statistik zeigt, dass die Zahl der Asylbewerber drastisch gesunken ist und 1999 mit 95 000 den niedrigsten Stand seit Mitte der 80er-Jahre erreichte. Als "ganz und gar naive Vorstellung" wertete auch der Ausländerrechtsexperte Kai Hailbronner die Annahme, mit einer Grundrechtsänderung würde die Zahl der Asylbewerber weiter abflauen. Er verwies auf die internationalen Verpflichtungen Deutschlands, die Abschiebungen weiterhin unmöglich machten.

Ebenso irrig ist der Eindruck, eine Einschränkung des Asylrechts würde die Gerichte entlasten. Wer Klagen von Asylbewerbern verhindern will, müsste die im Grundgesetz verankerte Rechtsweggarantie einschränken. Das aber dürfte sich als verfassungswidrig erweisen, wie die Juristen im Bundesinnenministerium offenbar erkannt haben. Schily jedenfalls gestand ein: "Auch bei einer Umwandlung des Asylrechts könnten wir das Verwaltungsverfahren kaum umgehen."

Mängel in der Praxis

Wird das Grundrecht auf Asyl aber nicht mehr angetastet, könnte endlich sachlich über die Mängel des Asylrechts debattiert werden. So bestreitet niemand mehr, dass Asylverfahren verkürzt werden müssen. Die Gerichte sind mit Klagen überlastet, obwohl schon vor Jahren der Rechtsweg verkürzt worden ist. Zurückzuführen ist dies auf eine Politik, die es den Gerichten überließ, die Asylkriterien festzulegen. Gefördert wurde diese Entwicklung auch vom Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge, das sich früher vor allem als eine Behörde verstand, die Asylbewerber abzulehnen hatte. Hier versucht Bundesinnenminister Schily gegenzusteuern. Sein Ministerium kündigte an, Asylanträge genauer zu prüfen und die Anhörungspraxis zu verbessern. Damit sollen Fehlentscheidungen verringert und Klagen eingeschränkt werden.

Die Abkehr von der Debatte um eine Grundrechtseinschränkung ermöglicht es, die Asyl- und Zuwanderungspolitik im Zusammenhang zu sehen. Bislang wird diese Debatte pauschal unter dem Stichwort "Missbrauch" geführt, ohne dass dies mit Zahlen belegt werden kann. So sind die Sozialhilfeausgaben auf das Arbeitsverbot zurückzuführen. Die Statistik über abgelehnte Asylanträge wiederum erfasst auch Menschen, deren Verfolgung vom deutschen Recht nicht als Asylgrund vorgesehen ist. Verkannt wird bei diesem Vorwurf zudem, dass fehlende Einwanderungsregeln einem möglichen Missbrauch Vorschub leisten.

Neben Zuwanderungsbestimmungen sind deshalb Instrumentarien nötig, die künftig Asyl und Zuwanderung klar voneinander abgrenzen. Wer aus wirtschaftlichen Interessen nach Deutschland kommt, sollte keinen Asylantrag stellen können. Wer Asyl beantragt, sollte nicht als Zuwanderer bleiben. Dadurch könnte die Entscheidung bereits vor der Einreise fallen. Entsprechende Regelungen könnte die von Schily berufene Einwanderungskommission finden, wenn sie die Debatte verknüpft. Eins aber gilt es zu verhindern: Asylbewerber dürfen nicht gegen Zuwanderer ausgespielt werden.