Kölner Stadtanzeiger, 8.8.2000

Machtkampf um Pressefreiheit im Iran: Fundamentalfrage

Von Sandro Schmidt

Der Machtkampf im Iran zwischen dem reform-orientierten Präsidenten Mohammed Chatami und den islamistischen Mullahs mit dem höchsten geistlichen Führer Ali Chamenei an der Spitze rüttelt inzwischen an den Fundamenten der Mullahkratie. Ein "Gottesstaat" ist eben ein "Gottesstaat" - oder es gibt ihn nicht.

Wer - in welcher Religion auch immer - die Meinung verficht, dass Gottes Wille durch den höchsten Geistlichen für alle Bereiche des Lebens, insbesondere auch für die Politik, verbindlich und mit Gesetzeskraft ausgelegt wird, der darf prinzipiell keinen Widerspruch zulassen.

Kritik am Kurs des Religionsführers wäre Kritik an Gott und dessen Wirken in der Welt. Also Gotteslästerung. Die steht dem Menschen nicht zu. Je nach Schwere des Deliktes gilt so die Äußerung des freien Wortes bei iranischen Dogmatikern als todeswürdiges Verbrechen - siehe Salman Rushdie.

Wie im Kommunismus die Staatspartei immer Recht hatte, weil nach eigenem Verständnis als einzige auf dem ideologisch richtigen Kenntnisstand befindlich, so führt in der Teheraner Mullahkratie also kein Weg an der Meinung der hohen Geistlichkeit vorbei. Konsequenterweise obliegt es im Iran auch nicht dem Parlament, über Pressefreiheit zu befinden.

Denn die muss systembedingt dort enden, wo die herrschenden Mullahs andere Meinungen vertreten. Ließen sie Liberalisierung zu, stürzten - siehe oben - die Fundamente ihres "Gottesstaats" ein.

Spätestens hier stellt sich inzwischen die auch bei den Anhängern von Präsident Chatami heftig diskutierte Frage, ob liberale Reformen im Rahmen der Mullahkratie überhaupt möglich oder Freiheitsrechte nur mittels Revolution durchzusetzen seien. Chatami lehnt die zweite Variante strikt ab, weil er fürchtet, sie könne in einen lang anhaltenden Bürgerkrieg verschiedener politischer Strömungen führen - mit vielen Opfern, das wirtschaftlich bereits ruinierte Land läge vollends am Boden.

Doch mit seiner Politik der kleinen Reformschritte stößt Chatami, wie sich nun zeigt, an unüberwindbare Grenzen. Ein bisschen Mullahkratie gibt es nicht. Genau so wenig wie ein bisschen Menschenrecht.

Irans Präsident steht daher vor schweren Entscheidungen: Will er seine liberalen Reformen retten, den ihm zujubelnden Menschen die lang ersehnten Freiheitsrechte ermöglichen, muss er sich offen gegen System und Verfassung wenden. Denn ihre eigene Entmachtung wird die herrschende Mullah-Clique kampflos nie hinnehmen.