Süddeutsche Zeitung, 7.8.2000

Schwere Niederlage für Reformer in Iran

Chamenei verhindert Debatte über Pressegesetz

Verbot des Ajatollah löst Tumulte im Teheraner Parlament aus / Erneut Journalist verhaftet und Zeitung verboten

Teheran (Reuters/dpa/AP/AFP) - Das iranische Parlament hat am Sonntag auf Druck des obersten Religionsführers Ajatollah Ali Chamenei eine Lockerung des Presserechts von der Tagesordnung abgesetzt und damit Tumulte unter Abgeordneten der Reformbewegung ausgelöst. Parlamentspräsident Mehdi Karroubi sagte, das Parlament dürfe sich Chameneis Willen nicht widersetzen. Dieser gilt als konservativer Gegenspieler des Präsidenten Mohammad Chatami.

In einem Schreiben Chameneis hieß es, die Sicherheit Irans und der Glaube der Menschen seien gefährdet, falls "Feinde unsere Presse unterwandern". Abgeordnete von Reformgruppierungen reagierten empört auf die Absetzung der Reform, die sie im Wahlkampf versprochen hatten. Während Karroubi die Anordnung Chameneis als verfassungskonform bezeichnete, sprachen einige Reformpolitiker von einem illegalen Schritt. Im Plenarsaal kam es zu Tumulten und Handgreiflichkeiten. Abgeordnete, die auf andere losgingen, wurden von weiteren Parlamentariern aus dem Saal gedrängt. Journalisten mussten Foto- und Filmmaterial von den Rangeleien abgeben.

In der ersten Sitzung nach der Sommerpause sollte über eine Änderung des restriktiven Pressegesetzes debattiert werden. Das im Februar neu gewählte Parlament, in dem die Anhänger des reformorientierten Präsidenten Chatami die Mehrheit haben, wollte damit die Grundlage für die Wiederzulassung mehrerer Dutzend Publikationen legen, die in den vergangenen Monaten wegen angeblicher Verstöße gegen den Islam verboten wurden. Das Gesetz war im Mai durch das damals noch von den Konservativen bestimmte Parlament verabschiedet worden. Dadurch war es den ebenfalls von den Konservativen beherrschten Gerichten erleichtert worden, Zeitungen zu verbieten und Journalisten zu bestrafen. Seit April haben sie 22 Publikationen geschlossen. Erst am Samstag war die Zeitung Tavana verboten worden.

Der reformorientierte Geistliche und Journalist Hassan Jussefi-Eschkewari ist am Samstag nach der Rückkehr von einer Auslandsreise verhaftet worden. Nach Angaben der iranischen Nachrichtenagentur Irna wird ihm zur Last gelegt, gegen die nationale Sicherheit und islamische Grundsätze verstoßen und "diffamierende Artikel" veröffentlicht zu haben. Jussefi-Eschkewari hatte im April an einer von der Heinrich-Böll-Stiftung in Berlin organisierten Iran-Konferenz teilgenommen. Die den Grünen nahestehende Stiftung appellierte an die iranische Führung, alle verhafteten Konferenzteilnehmer freizulassen. Der Publizist Akbar Ganji, der Verleger Ezatollah Sehabi und der Dolmetscher Khalil Rosthamkhani säßen weiter im Gefängnis, hieß es in einer in Berlin veröffentlichten Mitteilung der Stiftung.

Unterdessen steht in Iran erstmals seit der Islamischen Revolution 1979 eine Frau an der Spitze einer Bezirksregierung. Der Nachrichtenagentur Irna zufolge ernannte Innenminister Abdolwahed Mussawi Lari die Politikerin Rahmat Ruhani Sarwestani zur Gouverneurin des Bezirks Sarwestan in der Provinz Fars.

Den Einwohnern der iranischen Insel Kich ist es künftig verboten, in der Öffentlichkeit Krawatten zu tragen. Krawatten seien unerwünschte Zeichen der westlichen Kultur, berichtete die Wirtschaftszeitung Abrar unter Berufung auf die Polizei.