Neue Zürcher Zeitung (CH), 07.08.2000

Irans Presse darf den Maulkorb nicht ausziehen

Khamenei verhindert Debatte zur Reform des Pressegesetzes

Mit einem Brief hat der oberste geistliche Führer Irans, Ayatollah Khamenei, die Abstimmung über ein neues, liberales Pressegesetz blockiert. Dem Parlament wurde aufs Neue seine Ohnmacht in der Konfrontation mit dem konservativen Lager gezeigt. Parallel zur Ankündigung von Präsident Khatami, für eine zweite Amtszeit zu kandidieren, häufen sich die Festnahmen von fortschrittlichen Intellektuellen und die Schliessungen liberaler Zeitungen.

ber. Kairo, 6. August

Das iranische Parlament hat am Sonntag die für denselben Tag angesetzte Debatte zur Neuerung des drakonisches Pressegesetzes gestrichen. Damit gab der Majlis, in dem heute die Reformer eine Dreiviertelmehrheit ausmachen, wohl oder übel dem Willen von Revolutionsführer Khamenei nach. Khamenei erklärte der Volksversammlung in einem Schreiben, das bestehende Pressegesetz habe sich bewährt und verhindert, dass sich feindliche Elemente in die iranischen Zeitungen einschlichen und so die Sicherheit des Landes und den Glauben des Volkes gefährdeten. Hingegen habe der Rat zur Überwachung der Verfassung festgestellt, dass der vorliegende Gesetzesentwurf gegen das angestrebte politische System und die islamische Revolution sei. Dieser Rat, der zur Aufgabe hat, neue Gesetze auf ihre Übereinstimmung mit Islam und Scharia zu überprüfen, wird wie die meisten iranischen Machtinstrumente von den Konservativen beherrscht.

Entscheid nicht anfechtbar
Die Verlesung des Briefes Khameneis rief bei den Abgeordneten Widerspruch und Empörung hervor. Der Parlamentsvorsitzende Karrubi stellte ihre Mikrophone ab und ermahnte selbst laut zu Ruhe und Ordnung. Schliesslich erklärte er, dass sich das Parlament dem Willen Khameneis unterordnen müsse. Irans Konstitution erlaube dem obersten geistlichen Führer, unanfechtbare Entscheide zu treffen. Das wüssten die Abgeordneten. Die Verabschiedung des strengen Pressegesetzes war vom vorhergehenden Parlament als eine seiner letzten Amtshandlungen im vergangenen April durchgesetzt worden. Der damals noch von Konservativen beherrschte Majlis setzte damit der Meinungsfreiheit engere Grenzen und erweiterte die Möglichkeiten des Staates, gegen die Presse einzugreifen, erheblich. Das Gesetz verpflichtete die Zeitungen unter Androhung von harten Strafen, islamische Werte und Regeln zu respektieren. Kaum war es verabschiedet, erliess die Justizverwaltung am 23. April ein Erscheinungsverbot für zwölf liberale Zeitungen. In den folgenden Tagen und Wochen folgten die Verbote der sieben verbliebenen Reformblätter. Das neue Parlament billigte kurz nach seinem Zusammentritt Anfang Juni den Entwurf zu einer Änderung des als diktatorisch bezeichneten Pressegesetzes und eine Abstimmung darüber im August.

In der Folge weitete sich die Kampagne der Konservativen gegen die liberale Presse auf die Provinz aus. Die dort erscheinenden Blätter wurden nun ebenfalls der «Beleidigung von Regierungsorganisationen» und «Aufhetzung der Öffentlichkeit» beschuldigt. Einige Zeitungen wurden bereits verboten, andere warten noch auf ihren Urteilsspruch. Parallel zur Schliessung von Zeitungen verhaftete die Polizei auch wieder vermehrt Journalisten und «Freidenker». So wurde am Samstag der liberale Schriftsteller und reformerische Geistliche Eshkevari festgenommen, nachdem er gerade von einem mehrmonatigen Auslandaufenthalt nach Teheran zurückgekehrt war. Bereits im April war ein Haftbefehl gegen ihn wegen «Verhöhnung des Islams» an der Berliner Iran-Konferenz erlassen worden. Ebenfalls am Samstag verbot die Justizbehörde das Erscheinen des Satiremagazins «Tavana». Insgesamt waren dreissig Anklagen gegen «Tavana» erhoben worden; als schlimmstes Vergehen gilt die Abbildung einer Karikatur des iranischen Präsidenten Khatami, auf der er ohne seine langen Gewänder und Turban gezeigt wird.

Unliebsames zweites Mandat Khatamis
Manche Beobachter wollen einen Zusammenhang zwischen der jüngsten Offensive der Bewahrer und Khatamis Aufstellung für eine zweite Amtszeit sehen. Khatami hat vor zwei Wochen angekündigt, er werde nicht nur für die Präsidentschaftswahlen im nächsten Mai erneut kandidieren, sondern sich auch weiter für demokratische Reformen einsetzen. Die Konservativen hatten bei den Parlamentswahlen im Februar enorme Verluste hinnehmen müssen und konnten bisher noch keinen, geschweige denn einen so beliebten Präsidentschaftskandidaten wie Khatami aufstellen. Die verbliebenen Zeitungen, die alle als Sprachrohr der konservativen Front dienen, warfen Khatami daraufhin vor, in seinem Eifer die iranische Gesellschaft befreien zu wollen, nichts gegen das Kränkeln der Wirtschaft, die steigende Inflation und die grosse Arbeitslosigkeit zu tun. Reformen sollten sich deshalb auf die Wirtschaft beschränken. Die Reformpolitiker konterten, dass die kritische Wirtschaftslage von der Misswirtschaft der Vorgänger Khatamis rühre. Nur Rechtssicherheit im Lande führe zu Stabilität, und nur Stabilität bringe den ersehnten wirtschaftlichen Aufschwung.