Frankfurter Rundschau, 5.8.2000

Nur blauäugig oder kriminell ?

Die Kieler Grünen-Ministerin Anne Lütkes ist wegen ihrer Verbindung zu iranischen Oppositionellen unter Druck

Von Ingrid Müller-Münch (Köln)

"Bodenlos ist das, eine Unverschämtheit", wehrt sich die grüne schleswig-holsteinische Justizministerin Anne Lütkes gegen den Vorwurf, Mitbegründerin einer Tarnorganisation der iranischen Volksmudschaheddin zu sein. Als "völlig absurd" bezeichnet ihre Parteikollegin Kerstin Müller die Behauptung, Vorsitzende eines Vereins zu sein, der Gelder, die eigentlich für iranische Waisenkinder bestimmt waren, zu Waffenkäufen dieser militanten Oppositions-Gruppierung zweckentfremdet habe. Derweil sich die Wut von Lütkes Ehemann, dem Kölner Rechtsanwalt Christoph Meertens, vor allem auf das Bundeskriminalamt konzentriert.

Dessen Staatsschutzabteilung hatte durch einen der Presse zugespielten Bericht über die "Kinderverwaltung der Volksmudschaheddin in Iran in Deutschland" den Anstoß zu all dem Ärger gegeben. Vor einer Woche erst musste sich Ministerin Lütkes vor dem Innen- und Rechtsausschuss des schleswig-holsteinischen Landtages deswegen rechtfertigen.

Die Sache ist damit längst nicht aus der Welt. Seitdem die BKA-interne Verschlussakte öffentlich wurde, steht der 1993 von Lütkes, Müller und Meertens in Köln gegründete Verein "Iranische Flüchtlingskinderhilfe e. V." (IFKH) im Kreuzfeuer der Kritik. Inzwischen ermittelt die Kölner Staatsanwaltschaft wegen Betrugsverdacht, wurden bei Polizei und Bezirksregierung Sonderkommissionen einberufen.

Die Vorwürfe, die der BKA-Bericht enthält, sind schwerwiegend und verdienen es, genauestens unter die Lupe genommen zu werden. Wird da doch behauptet, die IFKH hätte den aus Irak herausdurch Sabotageakte gegen das iranische Mullah-Regime agierenden Volksmudschaheddin Gelder zugesteckt. Etwa 150 als Waisen deklarierte iranische Flüchtlingskinder, die der Verein betreute, seien allein zu diesem Zweck nach Deutschland geschleust worden. Von elf Millionen Mark, die das Jugendamt Köln zeitweilig pro Jahr für die Betreuung der Kinder gezahlt haben soll, sei "nachweislich nur ein Bruchteil den Kindern zugute" gekommen.

Die Kinder sollen unter menschenunwürdigen Umständen untergebracht, schlecht ernährt, mangelhaft gekleidet, von der Umwelt abgeschottet und misshandelt worden sein. Eltern hätten vergeblich versucht, ihre Kinder zurückzugewinnen. Zahlreiche Kinder seien dann plötzlich wieder verschwunden, weil sie laut BKA zurück nach Irak zum bewaffneten Kampf gegen das iranische Regime geschickt wurden. Außerdem gehöre zu den Gründungsmitgliedern des Vereins neben Lütkes, Meertens und Müller mit Tayabeh Rahmani ein hochrangiges Mitglied des Zentralrates der Volksmudschaheddin.

"Dieser Bericht ist im Wesentlichen verleumderischen Inhalts", wehrt sich Anwalt Meertens, der die Hauptarbeit des Vereins tätigt und zeitweilig an die 80 iranische Flüchtlingskinder als Vormund vertrat. Natürlich sei ihm aufgefallen, dass Rahmani den Volksmudschaheddin nahestand. Aber ihm sei nicht bekannt, dass die Kinder politisch von Rahmani indoktriniert würden, noch wisse er etwas von Videocassetten eindeutig politischen Inhalts, die die Kinder sich anschauen mussten. Er habe sich stets bemüht, durch Beschäftigung auch deutschen Personals, "schrittweise Sicherungen einzubauen, damit Ideologisierung ihre Grenzen hat". Selbstverständlich seien keinerlei Gelder an die Volksmudschaheddin abgezweigt worden. Sein Verein habe eine "absolut geordnete Verwaltung. Ich kann das ganze Geld nachweisen." Außerdem habe man den Verein ja nur gegründet, um die Missstände abzustellen, die es zuvor bei der Betreuung dieser unbegleitet nach Köln gereisten minderjährigen Flüchtlinge gab. Meertens fühlt sich ebenso wie Lütkes und Müller verleumdet und diffamiert, weiß nicht, wer ihnen da "ans Leder" will.

Das Kölner Rechnungsprüfungsamt hat sich inzwischen ebenfalls mit dem Verein befasst und kommt nach Sichtung der Jugendamts-Akten zu dem Schluss, es gebe keinerlei Hinweise darauf, dass der Verein "öffentliche Gelder zu Unrecht erhält oder diese nicht zweckentsprechend verwendet werden". Um indes gleich Zweifel daran zu äußern, ob die Flüchtlingskinder denn auch tatsächlich "in dem nach dem Kinder- und Jugendhilfegesetz erforderlichen Umfang erzogen und betreut werden".

Noch sind in Nordrhein-Westfalen Schulferien. "Doch wenn die Schule wieder anfängt, werden sie eine Menge Lehrer finden, die die Vorwürfe gegen den Verein bestätigen", sagt Kambiz Espahangizi, seit 25 Jahren Hauptschullehrer in Köln. Ihn hat das BKA vor drei Jahren aufgesucht, vor allem auf seinen damaligen Schilderungen basiert der jetzt durchgesickerte Bericht. Seit 1991 hat er Jugendamt und Schulamt immer wieder über eine von ihm beobachtete Indoktrinierung der Kinder informiert. "Kein Mensch tat etwas dagegen", sagt er. "Und nun auf einmal explodiert es", wundert er sich. Wie er vermuten auch die Mitglieder des "Kölner Appells gegen Rassismus" dahinterstehende politische Interessen. Das Ziel sei gewesen, im Zusammenhang mit dem Staatsbesuch von Präsident Mohammad Khatami in der Bundesrepublik, "dem Mullah-Regime unliebsame Organisationen und Personen zu diskreditieren und mundtot zu machen".

Doch ganz so leicht lässt sich das alles nicht aus der Welt schaffen. Inzwischen meldete sich bei der FR der Kölner Kollegschullehrer Kamal Aras und schilderte, dass ihm Kinder, die von der IFKH betreut wurden, von ideologischen Schulungen in ihren Heimen erzählten. Und dass er Meertens hierauf aufmerksam gemacht hätte. "Ich habe ihn gewarnt", sagt Aras, "habe gesagt, Du spielst mit Feuer. Die Volksmudschaheddin sind gefährlich. Doch er hat nicht reagiert, hat das offenbar auf die leichte Schulter genommen."

Auch Michael Kellner, Deutschlehrer an der Gesamtschule Köln-Holweide, meldete sich jetzt mit der Information, er habe zwei der iranischen Flüchtlingskinder unterrichtet, 13-, 14-jährige Jungen, bei denen er ganz stark den Eindruck hatte, dass diese Kinder indoktriniert wurden. Darüber hätte er Meertens informiert. Irgendwann seien die Jungs dann einfach weggeblieben. Kellner glaubt, dass sie zurück nach Irak gingen. Der BKA-Bericht, so sagt er, "deckt sich in weiten Teilen mit meinen Beobachtungen". Eine Sozialpädagogin, die in einem Mädchenheim mit vom Verein betreuten Flüchtlingskindern arbeitete, habe ihm erzählt, dass eines Tages eines dieser Mädchen spurlos verschwand. Und dass sie dies Meertens und auch dem Jugendamt mitgeteilt, aber nie eine Rückmeldung bekommen habe. Lehrer Espahangizi ist davon überzeugt, dass die iranischen Schüler und Schülerinnen, zu denen er bis vor einem Jahr noch engen Kontakt hielt und die nun nicht mehr auffindbar sind, "von den Volksmudschaheddin zurück nach Irak geschickt wurden". Vorwürfe, zu denen Meertens sagt: Selbstverständlich seien Kinder abgehauen, das sei in jedem Heim so. Er habe dann stets Vermisstenanzeigen erstattet. Wohin die Kinder entschwanden, wüsste er auch nicht. Ob nach Irak, sei ihm nicht bekannt.

Am Freitag jedenfalls versicherte Ministerin Lütkes erneut, der Verein habe weder Gelder veruntreut noch sei er eine Tarnorganisation der Volksmudschaheddin. Sie sei "empört", "dass soziales Engagement für Flüchtlingskinder in Not . . . so durch den Schmutz gezogen wird". Als "unerträglich" empfindet sie es, dass der BKA-Bericht in den Medien kursiere, ihr aber die Aushändigung eines Exemplares kommentarlos verweigert werde. Inzwischen klagt sie gegen das BKA auf Auskunftserteilung, stellte am Freitag Dienstaufsichtsbeschwerde gegen BKA-Beamte und erstattete bei der Staatsanwaltschaft Köln Strafanzeige wegen des Verdachts der Verletzung von Dienstgeheimnissen, Verleumdung und Beleidigung.