Frankfurter Rundschau, 5.8.2000

Pro Asyl rügt Irak-Lagebericht

Fischer-Ministerium sieht Fluchtalternative für Kurden

Von Pitt von Bebenburg

Ganz im Gegensatz zu Menschenrechtsgruppen hält das Auswärtige Amt Nordirak für eine "de-facto-Schutzzone" und sieht darin "bedingt" auch eine inländische Fluchtalternative für Kurden. Das geht aus dem vertraulichen Irak-Lagebericht des Ministeriums hervor, der der FR vorliegt.

BERLIN, 4. August. Das Außenministerium von Joschka Fischer (Grüne) gibt Gerichten und Behörden in seinem Lagebericht Formulierungen an die Hand, mit denen Kurden aus Irak in Deutschland ein Asylsanspruch versagt werden kann. "Innerhalb Gesamtiraks bietet aus hiesiger Sicht der weitestgehend kurdisch besiedelte Nordirak bedingt Ausweichmöglichkeiten für Kurden", heißt es in dem Bericht. Das Ministerium nehme an, dass im Norden Iraks "Flüchtlinge und Einheimische weitgehend Schutz vor dem Zugriff der Bagdader Sicherheitsdienste genießen".

Der Lagebericht ist die aktuelle Basis für Asyl-Entscheide der Behörden. Er stammt von Oktober 1999, ist aber bisher noch nicht öffentlich bekannt geworden. Das 20-seitige Schriftstück trägt den Vermerk "VS - Nur für den Dienstgebrauch".

Es ist der erste Lagebericht zu Irak, vor dessen Erstellung sich das Auswärtige Amt mit Menschenrechtsgruppen besprochen hatte. Pro Asyl, das an diesem Gespräch beteiligt war, zeigte sich enttäuscht: Es gebe "eine ernüchternde Kontinuität der Tradition der Irak-Lageberichte der Ära Kinkel". Das nächste "Dialogtreffen", bei dem Irak auf der Tagesordnung steht, ist im Auswärtigen Amt für Anfang September geplant. Das Ministerium geht davon aus, dass im Herbst ein neuer Länderbericht vorgelegt wird.

Der derzeit gültige Bericht ist nach Ansicht von Pro Asyl Ausdruck der "deutschen und europäischen Flüchtlingsabwehrpolitik". Die Organisation rügt "begriffliche Unschärfen, den Mangel an Fakten, das Nichtwissenwollen um Menschenrechtsverletzungen von Seiten der kurdischen Parteien". Alles in allem sei das Irak-Dossier "beschönigend". Pro Asyl veröffentlichte am Freitag eine detaillierte Analyse des offiziellen Papiers, die Mitarbeiter der Hilfsorganisation Wadi erarbeitet hatten. Sie rügen, dass das Auswärtige Amt "an der Konstruktion einer ,Schutzzone'" Nordirak festhalte. Zudem versäume es Fischers Ministerium weitgehend, "Daten und Material über die Situation im kurdischen Nordirak vorzulegen". Tatsächlich seien Kurden dort "staatlichen Repressionen und gezielten Menschenrechtsverletzungen" ausgesetzt. Doch nicht nur Bagdad stelle eine Gefahr für die Menschen dar, sondern auch die machthabenden kurdischen Parteien in Nordirak, denen Folter und Hinrichtungen angelastet werden.

Die Berichte zu Irak sind von besonderer Bedeutung, weil viele Asylbewerber in Deutschland aus diesem Land kommen, vor allem Kurden. Im ersten Halbjahr 2000 waren es mit 4730 Flüchtlingen 13,2 Prozent aller neuen Asylbewerber. Die Statistik für 1999 weist aus, dass die Anerkennungsquote unter fünf Prozent lag, wobei jedoch weitere 35 Prozent das "kleine Asyl" erhielten und auch bleiben durften.