junge Welt, 05.08.2000

Türkei: Prügel für die Opfer

Angehörige von politischen Gefangenen in Istanbul mißhandelt

Ein Besuch im höchsten Gerichtshof der Türkei endete in Istanbul am Donnerstag für etwa 30 Angehörige politischer Gefangener im Polizeigewahrsam. Gut 60 Personen waren in dem Hohen Hause erschienen, um vor den höchsten Richtern der Türkei Anzeige gegen Soldaten der Spezialeinheiten zu erstatten, von denen sie wenige Tage vorher brutal mißhandelt worden waren. Unterstützt wurden sie in ihrem Anliegen von der Angehörigenorganisation TAYAD. Nachdem sie eine Erklärung im Flur des Gerichtes abgegeben hatten, verließen sie das Gebäude.

Draußen wurden sie von mehreren Hundertschaften der Spezialeinheiten empfangen. Die Uniformierten drängten die Protestierenden zusammen und schlugen auf sie, zumeist Mütter von politischen Gefangenen, brutal mit eisernen Schlagstöcken ein. Die Mißhandelten wurden in bereitstehende Polizeibusse geprügelt. Dort setzten die Sicherheitskräfte die Tortur fort. Sie schlossen die Gardinen des Busses, um diese Prügelorgie vor den Blicken der zahlreich erschienenen Medienvertreter zu verbergen. 25 Personen mußten anschließend in einem Krankenhaus behandelt werden. Dann wurden sie, wie die anderen Festgenommenen auch, der Anti-Terror-Abteilung der Gendarmerie übergeben. Jeglicher Kontakt zu Angehörigen und auch Anwälten wurde ihnen untersagt.

Anlaß für die Aktion im Gericht waren mehrere Übergriffe staatlicher Sicherheitskräfte auf eine von TAYAD initiierte Karawane von Istanbul nach Ankara am vergangenen Wochenende. Der Buskonvoi war eine Protestaktion gegen die Angriffe auf verschiedene Gefängnisse. Nachdem Anfang Juli das Gefängnis in Burdur von Spezialeinheiten der türkischen Sicherheitskräfte zum größten Teil zerstört worden war, griffen Uniformierte am 25. Juli das Gefängnis in Bergama an. Ebenso wie in Burdur setzten sie dabei Gas- und Rauchbomben ein. Wie in Burdur wurde auch dieses Gebäude mit Bulldozern eingerissen. Mehrere Gefangene wurden dabei schwer verletzt. Anschließend wurden sie nach Buca verlegt. Unterwegs wurden sie von den Sicherheitskräften wieder mißhandelt. In Buca erhalten die Gefangenen weder Medikamente noch Lebensmittel, und der nächste Übergriff scheint programmiert.

Außerdem wandten sich die Teilnehmer der Karawane gegen die geplante Einführung von Isolationshaft in der Türkei. In Ankara wollten sie mit dem türkischen Justizminister sprechen. Der Konvoi der sechs Busse wurde von einem riesigen Polizeiaufgebot begleitet. Ohne Angabe von Gründen wurde er mehr als zwanzigmal gestoppt. Dabei kam es wiederholt zu Übergriffen, bei denen mehrere Personen schwer verletzt wurden. Gegen die Verantwortlichen für diese Mißhandlungen sollte am Donnerstag Anzeige erstattet werden. Doch statt gegen die Gewalttäter zu ermitteln, ließ der türkische Staat die Opfer verprügeln und einsperren.

Unter den Festgenommenen befinden sich auch die beiden türkischen Dolmetscherinnen einer Delegation von Ärzten, Anwälten und Journalisten aus Griechenland, Schottland, England, Belgien und Deutschland.

Birgit Gärtner, Istanbul