Rheinische Post, 2.8.2000

Blutbad befürchtet

Proteste gegen neue türkische Gefängnisse

Istanbul (dpa). Die Proteste reißen nicht ab: Seit Tagen gibt es in der Türkei Demonstrationen gegen die vom Justizministerium geplante Gefängnisreform. Bei den Kundgebungen im ganzen Land sind bereits Dutzende Menschen festgenommen worden. Die Proteste richten sich gegen die neuen Haftanstalten vom "Typ-F". Tatsächlich würde die Reform das Innenleben türkischer Gefängnisse völlig verändern. Statt riesiger Trakte sind Zellen für ein bis drei Häftlinge geplant. Damit will die Türkei ihr Strafvollzugssystem europäischen Standards anpassen. Doch Menschenrechtsgruppen kritisieren die Isolation der Häftlinge und befürchten Übergriffe und Folter durch Wärter und Sicherheitskräfte.

"Wenn Folter schon unter den derzeitigen Bedingungen möglich ist, wie wird es dann erst in den neuen Gefängnissen werden", sagte Erkan Yirdem von der Istanbuler Hilfsvereinigung der Häftlings-Familien (TAYAD). Auch Eren Keskin vom Menschenrechtsverein (IHD) in Istanbul glaubt, dass die Gefahr von Folter und Vergewaltigungen größer sein wird, wenn die Gefangenen einzeln oder in kleinen Gruppen untergebracht werden. Beide Organisationen lehnen die Isolation der Häftlinge ab, von denen vor allem die rund 11 000 politischen Gefangenen im Land betroffen sein sollen. "Zumindest tagsüber muss Kontakt zu anderen Häftlingen möglich sein", fordert die Anwältin Keskin.

Bisher hat es die Türkei nicht geschafft, die Gefängnisse mit den rund 72 500 Gefangenen im Land unter Kontrolle zu bringen. Rechte, Linke, islamische Extremisten, Mafiabosse und Kleinkriminelle scharen ihre Anhänger in den großen Trakten um sich. Mit ausreichend Geld lässt es sich nicht schlecht leben: Zeitungen zeigen immer wieder Bilder, die wie Aufnahmen aus einem gemütlichen Wohnzimmer aussehen - mit Fernseher, Telefon und Videorekorder. Tatsächlich sind es Bilder von mächtigen Bossen in ihrer "Luxuszelle". Die große Mehrheit der Häftlinge lebt aber in riesigen Räumen, in denen oft 100 Menschen schlafen.

Immer wieder kommt es zu blutigen Aufständen, Geiselnahmen und Hungerstreiks. Und oft sprechen sich die Gefangenen ab und koordinieren ihre Aktionen per Handy mit Insassen in anderen Städten. Manchmal enden die Meutereien nach wenigen Stunden friedlich, oft aber schlagen Sicherheitskräfte den Aufstand gewaltsam nieder.

Im vergangenen Jahr sind im Ulucanlar-Gefängnis in Ankara dabei zehn Menschen ums Leben gekommen. Anfang Juli wurde im Gefängnis im westanatolischen Burdur einem revoltierenden Häftling ein Arm abgerissen, als eine Mauer mit einem Bulldozer eingerissen wurde. Eine Frau wurde Berichten zufolge vergewaltigt, rund 60 Häftlinge verletzt. Wenige Tage später veröffentlichten Zeitungen Bilder der rebellierenden Gefangenen, die am ganzen Körper blaue Flecken und Striemen hatten.

Häftlinge und ihre Familien werden weiter gegen die geplanten elf Haftanstalten protestieren, die unter anderem in Diyarbakir, Edirne, Denizli, Izmir und Ankara entstehen sollen. Beobachter befürchten, dass eine erzwungene Verlegung der Häftlinge in die neuen oder umgebauten Gefängnisse neue Revolten und blutige Auseinandersetzungen auslösen wird. "Es wird Tote geben", meint Yirdem von der Vereinigung TAYAD. Der Vorsitzende der Istanbuler Anwaltskammer, Yücel Sayman, befürchtet türkischen Zeitungsberichten zufolge Ausschreitungen im ganzen Land: "Ich fürchte, dass sobald die Häftlinge in die Gefängnisse vom Typ F verlegt werden, in Gefängnissen in der ganzen Türkei ein Blutbad passieren wird."