Berliner Morgenpost, 1.8.2000

Kein Frieden ohne den Irak

Hans Graf von Sponeck, ehemaliger UN-Beauftragter, über die Lage im Golf

Von Lars-Broder Keil

Berlin/Genf - Über ein Jahr lang hatte der Diplomat Hans Graf von Sponeck das UN-Hilfsprogramm für den Irak «Öl für Lebensmittel» geleitet. Mit der «hoffnungslosen Lage des irakischen Volkes» begründete von Sponeck am 31. März seinen Rücktritt. Im Gespräch mit der Berliner Morgenpost äußert er sich zur Situation im Irak, zu Fehlern der Politik und zu den Chancen der Region.

Berliner Morgenpost: Herr von Sponeck, vor zehn Jahren marschierte Irak in Kuweit ein. Wenige Tage später wurden gegen den Aggressor Sanktionen verhängt. Heute wird beklagt, dass diese der Macht von Saddam Hussein nichts anhaben konnten. Sie haben Hussein vor wenigen Monaten gesprochen. Hatten Sie den Eindruck, dass ihn die Sanktionen berühren?

Hans Graf von Sponeck: Es muss ihn berühren. Aber er weiß, aus seiner Ecke kommt er nicht heraus. Und den Amerikanern kommt das wunderbar gelegen. Sie haben zurzeit von einem geschwächten Hussein mehr als von einem Nachfolger, den sie nicht einschätzen können. Die letzten vierzig Jahre im Irak haben gezeigt, dass bei einem erzwungenen Machtwechsel nicht unbedingt wieder was Besseres hervorkommt.

Und von dieser Haltung profitiert auch Hussein?

Sponeck: Er hat politisches Kapital gewonnen, die Bevölkerung kann mit ihm übereinstimmen, dass das Leiden, dem sie unterworfen sind, auf das Konto der Sanktionen geht. Und wir haben genügend Beweise aufgrund von Berichten der Vereinten Nationen, dass etwa die Verdreifachung der Kindersterblichkeit tatsächlich auf die Sanktionen zurückzuführen sind. Wenn 167 Kinder pro Tag das Leben verlieren, dann ist dies eine harte Statistik, die einen aufrütteln muss. Das britische Unterhaus kommt in einem Bericht zu dem Schluss, man hoffe, dass ein Land nie wieder so behandelt wird wie der Irak. Weil Sanktionen in der Realität einer Diktatur einfach keinen Machtwechsel bewirken. In einem Mehrparteiensystem sind die Chancen schon größer, zum Beispiel in Jugoslawien, wo Ansätze eines Mehrparteiensystems gegeben sind.

Das bedeutet, auf absehbare Zeit ist nicht damit zu rechnen, dass der Unmut der Bevölkerung sich gegen Hussein richtet?

Sponeck: In der Atmosphäre einer reinen Diktatur ist das schwer möglich. Wenn es zu einer öffentlichen Opposition käme, dann ja. Aber dazu kommt es nicht. Im Irak geht keiner auf die Straße. Die Folgen sind jedem bekannt.

Was müsste geschehen?

Sponeck: Ich habe gerade vor einer Woche in Nicosia an einer intensiven Irak-Diskussion teilgenommen. Da trafen sich Leute aus dem amerikanischen Außenministerium, viele Exil-Iraker, auch andere aus der Golf-Region. Bei den Gesprächen wurde mir klar, dass die Amerikaner im Augenblick nicht bereit sind, irgendwelche Konzessionen zu machen, zum Beispiel in der Interpretierung der im vergangenen Dezember vom UN-Sicherheitsrat verabschiedeten Irak-Resolution 1284. Das ist natürlich verheerend. Denn der Preis dafür wird weiterhin auf dem Buckel der Bevölkerung ausgetragen.

Also Zugeständnisse an Hussein?

Sponeck: Auch wenn es naiv klingt, ein Weg wäre die Enddämonisierung der Person Hussein. Palästinenserpräsident Jassir Arafat ist ja auch mal ein Dämon gewesen. Und dann hat man das durch vertrauensbildende Maßnahmen geändert. Das heißt nicht, dass man mit Hussein konform geht, aber es ist ein Versuch, einer Lösung näher zu kommen. Und ich bin überzeugt, dass die Amerikaner, wenn sie wirklich eine Veränderung wollten, dass auch könnten, indem man sich an einen Tisch setzt - wie bei den geheimen Oslo-Gespräche zum Frieden im Mittleren Osten. Frieden im Mittleren Osten ohne Irak wird es langfristig nicht geben können.

Aber wohl am wahrscheinlichsten ohne Hussein?

Sponeck: Hussein ist nicht aus sich selbst entstanden. Er ist auch mitgeformt worden durch die Politik der Amerikaner im Golf. Ich erinnere das Gespräch, das Hussein kurz vor der irakischen Invasion in Kuweit mit US-Botschafterin Glaspie geführt hat, in dem diese Hussein das Gefühl gab, es handele sich für die USA nur um eine Regionalfrage, in die man sich nicht einmischen wolle. Auch dadurch wurde Saddam Hussein in seinem Vorgehen ermutigt.

Welche Zukunft sehen Sie für den Irak und die Region?

Sponeck: Es wird kaum darüber gesprochen, dass in Kuwait als auch in Saudi-Arabien Auflösungserscheinungen zu sehen sind. Die Bevölkerung ist nicht so zufrieden mit ihren Regierungen, wie es den Anschein hat. Das heißt, wenn sich die Amerikaner aus dem Golf zurückziehen würden, dann würden sich alle möglichen neuen Konflikte dort entwickeln. Man muss den Friedensprozess im Mittleren Osten auf einer ganz anderen Basis führen. Er darf nicht nur mit dem Stock geführt werden. Im Falle Iraks wäre es ein besserer Ansatz gewesen, wenn man bei Einhaltung der Bedingungen zur Entwaffnung gleichzeitig auch Vergünstigungen in Aussicht und sich nicht auf die Position gestellt hätte: Erst wenn wir hundert Prozent zufrieden sind, kriegt ihr was. Aber die katastrophale Lage der 23 Millionen Iraker nach zehn Jahren Sanktionen macht erforderlich, dass man eine falsch geführte Politik eingesteht.

Was kann Europa beitragen?

Sponeck: Ich hoffe in der Diskussion, die vor uns liegt, auf eine sehr viel stärkere Teilnahme Europas. So wie sie bereits von Frankreich gezeigt wird. Dieses schüchterne, zurückhaltende Stimmchen, das aus Europa kommt, ist enttäuschend. Das ist moralisch nicht zu verstehen und immer weniger von der internationalen rechtlichen Seite. Man muss daran erinnern, dass die Bundesregierung und andere europäische Länder internationale Verträge, beispielsweise die Konvention zum Recht der Kinder oder die UN-Charta unterschrieben haben. Die es nun einzuhalten gilt. Es geht um die Frage: Was bedeutet ein internationaler Vertrag im Zusammenleben zwischen den Völkern. Und das Beispiel Irak zeigt, das es im Augenblick den Amerikanern und Engländern relativ wenig bedeutet. Hussein auch nicht. Aber dass er das Gesetz umwirft, ist keine Entschuldigung für die anderen, das auch zu tun.