Frankfurter Rundschau, 1.8.2000

Denktasch ist noch lange nicht bereit zu gehen

In Nordzypern gärt es, aber den Chef der türkischen Volksgruppe lässt das bisher kalt

Von Gerd Höhler (Athen)

Während der türkisch-zyprische Volksgruppenführer Rauf Denktasch in Genf am Verhandlungstisch sitzt, um mit den griechischen Zyprern über die Zukunft der Insel zu sprechen, geht es daheim drunter und drüber. Demonstranten stürmten vergangene Woche das Parlament in Nordzypern, Oppositionsparteien und Gewerkschaften organisieren Massenproteste.

Denktasch, erst im April ein drittes Mal wiedergewählt zum Präsidenten seiner Türkischen Republik Nordzypern (KKTC), glaubte fester denn je im Sattel zu sitzen. Doch jetzt forderten mehr als zehntausend Demonstranten seinen Rücktritt. In Genf will er vor allem die völkerrechtliche Anerkennung für seine KKTC erreichen. Doch ausgerechnet jetzt diagnostiziert die Istanbuler Zeitung Hürriyet "Tendenzen des Staatsverfalls" in Nordzypern.

Auslöser der Proteste war der Zusammenbruch von sechs türkisch-zyprischen Banken. Mehrere zehntausend Sparer warten bisher vergeblich auf eine Erstattung ihrer Einlagen. Aber die Bankenkrise war nur der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Obwohl Ankara immer neue Subventionen in die KKTC pumpt, verschlechtert sich die Wirtschaftslage in Nordzypern ständig. Das statistische Pro-Kopf-Einkommen liegt nur bei einem Drittel dessen, was im griechischen Süden erwirtschaftet wird.

Nordzypern leidet unter der Embargo-Politik der Griechen, aber auch unter der eigenen Misswirtschaft. Seit der Inselteilung 1974 ist rund die Hälfte der türkischen Volksgruppe ausgewandert. Auch mit der starren Verweigerungshaltung Denktaschs in den Gesprächen mit den griechischen Zyprern sind viele Inseltürken unzufrieden. "Denktasch wird gehen, und der Frieden wird kommen", riefen die Demonstranten vergangene Woche. Doch statt selbst zu gehen, möchte Denktasch den Ministerpräsidenten Dervisch Eroglu in die Wüste schicken. Eine Regierungsumbildung soll die Gemüter beruhigen.

Außerdem sieht Denktasch nun die Chance, einen lange gehegten Plan in die Tat umsetzen zu können: die Einführung eines Präsidialsystems. Damit würde er auch verfassungsrechtlich zum Alleinherrscher in Nordzypern. Aber ob damit wieder Ruhe einkehren würde, ist fraglich.

Auch Ankara zeigt Ungeduld. In jüngsten Jahren sei die Wirtschaft Nordzyperns "nicht gut und verantwortlich gemanagt" worden, kritisierte Ministerpräsident Bülent Ecevit. Man werde in Zukunft genauer prüfen, was mit dem türkischen Hilfsgeld geschehe. Doch wenn die Türkei nun die "yavruvatan", die "Tochternation" auf der geteilten Insel noch straffer an die Zügel nimmt, könnte das zu neuen Protesten führen. Ohnehin fühlen sich viele Zyperntürken von Ankara gegängelt. Offen werden die rund 30 000 in Nordzypern stationierten türkischen Soldaten in manchen Oppositionsmedien als "Besatzungsmacht" bezeichnet.

Wachsende Spannungen gibt es auch zwischen den alteingesessenen Inseltürken und den mittlerweile fast 100 000 Siedlern, die Denktasch in den vergangenen Jahren vom türkischen Festland nach Nordzypern holte. Die Istanbuler Zeitung Sabah sieht sogar die Gefahr, "dass die beiden Gruppen in den Straßen Nikosias mit Schlagstöcken aufeinander losgehen". Das wäre eine Neuauflage der Volksgruppenkonflikte der sechziger Jahre, diesmal unter anderem Vorzeichen: Zyperntürken gegen Festlandtürken.

Welche Auswirkungen die politische Krise in Nordzypern auf die Bemühungen um eine bisher von Denktasch abgeblockte Wiedervereinigung haben wird, ist strittig. Ankara werde den Inselnorden politisch und ökonomisch noch enger an sich binden und damit de facto annektieren, glauben manche Beobachter. Andere sehen dagegen nun die Chance für eine Überwindung der Inselteilung. 25 Jahre lang habe Ankara den Status quo auf Zypern als Lösung betrachtet, aber das stelle sich nun als Illusion heraus, schreibt die Sabah und konstatiert: "Wir können diesen Status quo nicht länger finanzieren."