Die Welt, 31.7.2000

Auf Zypern wächst der Zorn auf die Festlandtürken

Militär infrage gestellt - Ankara kritisiert Nikosia

Von Evangelos Antonaros

Nikosia - Unter Zyperns Türken gilt Bülent Ecevit als "Nationalheld". Im Juli 1974 hatte der damalige Regierungschef die von Ankara als "Friedensoperation" bezeichnete Invasion der türkischen Armee auf die Mittelmeerinsel angeordnet - zum Schutz der dort lebenden türkischen Volksgruppe. Im Sommer 2000 hat der regierende Sozialist von einer Teilnahme an den Feierlichkeiten anlässlich seiner Heldentat abgesehen. Und nicht nur das: Am Wochenende hat er, und zwar öffentlich, Ankaras Missfallen über die Regierung von Nordzypern zum Ausdruck gebracht, das als unabhängiger Staat nur von der Türkei anerkannt wird: "Die zyprische Regierung ist in den letzten Jahren weder professionell noch verantwortlich gemanagt worden. Wir haben immer wieder Geld dorthin überwiesen, aber nun müssen wir endlich feststellen, was aus diesen Beträgen geworden ist."

Die Drohung ist unmissverständlich: Denn ohne Ankaras Finanzspritze ist der Rumpfstaat nicht überlebensfähig. Jetzt schon fragt man sich im türkischen Teil Nikosias, ob genug Geld für die Beamtengehälter im August da ist. Ecevits harsche Worte, bisher undenkbar in den Beziehungen zwischen Mutterland und Nordzypern, sind kein Blitz aus heiterem Himmel. Seit Wochen kriselt es im nördlichen, seit der militärisch erzwungenen Teilung nur türkisch bevölkerten Teil der Insel. Letzte Woche stürmten empörte Menschen das Parlament, bei Straßenschlachten mit der Polizei kam es zu den schwersten Unruhen seit Jahrzehnten. Die Demonstranten protestierten gegen den Kollaps von sechs Banken. 30 000 Menschen sollen schätzungsweise Ersparnisse in Höhe von etwa 400 Millionen Mark verloren haben.

Staatspräsident Rauf Denktasch, zurzeit zu Gesprächen mit den Inselgriechen in Genf, bemühte sich um Schadensbegrenzung. Um sich aus der Affäre, bei der angeblich zahlreiche Regimefiguren ihre Finger im Spiel haben sollen, herauszuziehen, forderte er die Regierung seines einstigen Protegés Dervisch Eroglu zum Rücktritt auf. Aber solche taktischen Schachzüge können über eine simple Tatsache nicht hinwegtäuschen: In der Türkischen Republik von Nordzypern brodelt es. Die Finanzaffäre ist nur die Spitze des Eisberges. Denn seit Wochen ist eine Kontroverse zwischen den Inseltürken und den einst als "Befreier" gefeierten Festlandtürken im Gange.

Spannungen hat es unterschwellig immer gegeben. Doch der Stein kam vor einigen Wochen ins Rollen, als Vizepremier Mustafa Akinci eine Verfassungsänderung anregte, wonach Polizei und Feuerwehr anders als bisher nicht mehr dem türkischen Militär, sondern dem Innenminister unterstellt sein sollten. Ankaras Statthalter vor Ort, General Ali Nihat Oezeyranli, kanzelte Akinci als "Populisten" ab und bekam sofort die Rechnung präsentiert. In der Tageszeitung "Avrupa" wurde der mächtige Offizier daran erinnert: "Bevor du nach Zypern kamst, waren wir schon hier, und wenn du weg bist, werden wir immer noch hier sein."

Die Antwort kam postwendend: "Avrupa"-Chefredakteur Sener Levent, drei Journalisten und drei weitere Inseltürken kamen wegen Spionageverdachts in Haft. Inzwischen sind die Journalisten wieder frei, aber in der Türkei stellt man fest: "Die Konfrontation zwischen Insel- und Festlandtürken wird immer gefährlicher", kommentierte das Istanbuler Massenblatt "Sabah". "Wann werden sie mit Schlagstöcken aufeinander losgehen?"