Frankfurter Rundschau, 31.7.2000

Mehr Kontrolle durch kleine Zellen

Türkei baut neue Gefängnisse / Kritiker fürchten Folterungen

Von Gerd Höhler (Athen)

Am Wochenende gab es in Istanbul erneut Demonstrationen gegen die geplante Umgestaltung der türkischen Gefängnisse. Die Polizei nahm 48 Menschen fest. Die Gefängnisreform sorgt seit Wochen für Kontroversen.

Fast keine Woche vergeht, ohne dass es in türkischen Gefängnissen zu Gewalttaten Gefangener, Übergriffen der Aufseher oder Häftlingsrevolten kommt. Anfang Juli sorgte ein Gefangenenaufstand im Burdur-Gefängnis für Schlagzeilen. Die liberale Istanbuler Zeitung Radikal veröffentlichte Fotos von Gefangenen, die nach einem Polizeieinsatz furchtbar zugerichtet waren. Einem Häftling wurde der Arm abgerissen. Eine weibliche Gefangene sei vergewaltigt worden, berichtete die Zeitung.

Mit 65 000 Gefangenen, davon rund 11 000 politischen Häftlingen, sind die türkischen Gefängnisse völlig überfüllt. In den meisten Anstalten leben bis zu 100 Gefangene in großen Gemeinschaftszellen. Eine echte Kontrolle über das, was dort vorgeht, haben die Aufseher nicht. Schusswaffen, Messer und Drogen gibt es überall. Ganze Gefängnistrakte werden von rivalisierenden Banden beherrscht. Vergangenes Jahr wurden bei einem Bandenkampf in einem Istanbuler Gefängnis sechs Gefangene getötet. Gleichgesinnte politische Häftlinge werden oft gemeinsam untergebracht. Das begünstigt Protestaktionen, die dank der überall vorhandenen Mobiltelefone meist rasch auf andere Haftanstalten übergreifen.

Mehr Kontrolle über die Gefangenen verspricht sich das Justizministerium von den Hochsicherheitsgefängnissen des sogenannten Typs F, elf sind zurzeit im Bau. Statt großer Gemeinschaftssäle werden sie Zellen für ein bis drei Gefangene haben. Laut Ministerium sollen die Gefängnisse für je 368 Gefangene die von den Vereinten Nationen und dem Europarat festgelegten Mindeststandards für einen humanen Strafvollzug sogar übertreffen.

Türkische Menschenrechtsgruppen allerdings fürchten, dass durch die Absonderung der Häftlinge Übergriffe seitens der Aufseher begünstigt werden könnten. Unter ihnen gibt es ein beträchtliches Gewaltpotential, wie blutige Niederschlagungen von Häftlingsrevolten zeigen. Doch: Wer foltern will oder soll, wird dazu immer eine Möglichkeit finden. Das neue Konzept scheint jedenfalls humaner zu sein als die alten Gefängnisse, in denen die Häftlinge dem Terror der Banden ausgesetzt sind.

An der Lauterkeit der Motive jener, die gegen die Gefängnisreform protestieren, könnte man deshalb Zweifel hegen. Denn viele profitieren von den bisherigen, anarchischen Haftbedingungen, etwa Drogen- und Waffenhändler, aber auch radikale Untergrundorganisationen, die ihrer Genossen so leichter kontrollieren können.