Frankfurter Rundschau, 29.7.2000

Reflex des Erschreckens

Das Schlimmste ist dieser erste Gedanke: Ausländerhass

Von Astrid Hölscher

Das Schlimmste ist dieser erste Gedanke: Ausländerhass. Nicht an zufällige Opfer, nicht an die Tat eines Irren denken wir angesichts des Bombenanschlags von Düsseldorf, bei dem neun Flüchtlinge aus der ehemaligen Sowjetunion, darunter sechs jüdischen Glaubens, verletzt wurden. So weit sind wir schon, so tief hat sich Gewalt gegen Fremde, gegen Obdachlose, gegen Minderheiten überhaupt als hässliche deutsche Normalität im Bewusstsein verankert, dass der Reflex die Antwort gibt, bevor noch Fragen aufgeworfen werden. Gewiss sind nach dem Düsseldorfer Attentat nur die Wunden der Opfer, das Leid der jungen Frau, die ihr Kind verlor. Nichts ist bisher über Motive oder Täter bekannt. Doch der Argwohn, es könne sich um ein rechtsextremistisches Verbrechen handeln, überlagert die Ungewissheit.

Solch spontaner Verdacht könnte als Ausweis demokratischer Wachsamkeit passieren, wenn er nicht mit einem zweiten, beängstigenden einherginge: der Gewöhnung. Wenn im Juli der dritte Obdachlose in Mecklenburg-Vorpommern erschlagen wird, wenn sie in Celle eine Mauer (auch so eine deutsche Spezialität) gegen ein Asylheim errichten, dann sind Empörung und Proteste abrufbar. Doch es wundert niemanden mehr, kein Grund für eine Konferenz der Innenminister.

Nicht, dass von deren Treffen Patentlösungen zu erhoffen wären. Null Toleranz gegen Intoleranz, das ist auch nicht der Weisheit letzter Schluss. Viel wäre schon erreicht, wenn Bürger wie Politiker wieder lernen könnten zu erschrecken. Vor der Gewalt und der eigenen Abstumpfung angesichts der Aggression.