Frankfurter Rundschau, 29.7.2000

Berlin plant Bündnis gegen rechts

Regierung will mit Zentralrat der Juden kooperieren / Eindringliche Warnung Spiegels

Nach neuen brutalen Übergriffen wächst in Deutschland die Forderung, den Rechtsextremismus mit einem breiten Bündnis aller gesellschaftlichen Kräfte zurückzudrängen. Die Bundesregierung und der Zentralrat der Juden in Deutschland wollen zudem mit prominenten Künstlern und Sportlern eine Bewegung gegen Fremdenhass und Antisemitismus starten.

BERLIN, 28. Juli (dpa/ap). Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) hat am Freitag angekündigt, die Bundesregierung wolle den Kampf durch bessere Prävention und Verfolgung der Täter forcieren. Schily erklärte, künftig sollen die Einzelprogramme der Regierung unter Federführung des Innenministeriums gebündelt werden. Vorbeugendes müsse jedoch vor Ort geschehen, betonte er. Die Zahl rechtsradikaler Attacken sei zwar rückläufig, die Vorfälle dürften jedoch nicht bagatellisiert werden.

Nach Angaben des Präsidenten des Zentralrats der Juden, Paul Spiegel, haben für die geplante gemeinsame Aktion bereits Tennis-Star Boris Becker und die Schauspieler Mario Adorf und Veronika Ferres zugesagt. In Rhein-Zeitung in Koblenz warnte er vor einem Erstarken des Rechtsextremismus: "Heute richtet sich der Hass gegen Fremde, morgen gegen Behinderte und übermorgen gegen andere Minderheiten." Regierungssprecher Uwe-Karsten Heye will mit Spiegel am 7. August über das Bündnis sprechen.

Die Türkische Gemeinde in Deutschland warf der SPD und der Bundesregierung vor, bislang zu zögerlich gewesen zu sein. Der Vize-Chef der Gemeinde, Safter Cinar, erklärte: "Die Politiker müssen endlich aufhören, rassistische Gewalt als statistisches Problem zu behandeln."

In Schwerin äußerte der Innenminister von Mecklenburg-Vorpommern, Gottfried Timm (SPD), er halte in seinem Land jeden dritten Jugendlichen für Rechtsextremismus empfänglich. Es sei wichtig, sich mit diesen Jugendlichen kritisch auseinanderzusetzen. Dazu bedürfe es aller gesellschaftlichen Kräfte. Die Neonazi-Szene sei vor allem in Norddeutschland vernetzt.

Der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, Wolfgang Bosbach (CDU), nannte Rechtsextremismus und Rechtsterrorismus "die wirklich große Herausforderung in diesen Tagen". Im Deutschlandradio Berlin warnte er allerdings zugleich davor, die ostdeutschen Bürger unter den "Generalverdacht" der Ausländerfeindlichkeit zu stellen.

Hakenkreuzserie in Niedersachsen

GÖTTINGEN (ap). Eine Serie von Hakenkreuzschmierereien hat die Polizei in Niedersachsen festgestellt: In der Gegend von Göttingen sind an 16 Bushaltestellen, Glascontainern, Garagentoren und Zigarettenautomaten Hakenkreuze und Schriftzüge entdeckt worden, wie die Polizei am Freitag mitteilte. Die Beamten hatten schon einen Tag vorher erste Schmierereien entdeckt. Im Landkreis Rotenburg in Sandborstel bei Bremen wurde eine Gedenkstätte für die Toten eines NS-Arbeitslagers mit Hakenkreuzen und antisemitischen Parolen besprüht.